Allgemeine Medizin

Wenn das Immunsystem die Aorta angreift

Sehstörungen, Erblindung, Schlaganfall – das können Komplikationen einer speziellen Gefäßentzündung sein. Um Folgeschäden zu verhindern, muss man sie früh erkennen und konsequent behandeln.

10.03.2021
Foto: AdobeStock/Adam Gregor

Allen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ist – bei allen Unterschieden – gemein, dass sich das Immunsystem gegen körpereigene Strukturen richtet und so zu chronischen Entzündungen führt. Im Falle einer speziellen Gefäßentzündung, der sogenannten Großgefäßvaskulitis, sind es die Wände der großen Blutgefäße, die zum Ziel des Immunangriffs werden – hauptsächlich die der Aorta, der Hauptschlagader, und der davon abzweigenden großen Arterien, die Richtung Hals und Kopf ziehen.
Die „Riesenzellarteriitis“ ist in Europa häufigste Form der Großgefäßvaskulitis. Sie kommt meist bei Menschen über 50 Jahren vor. Typische Symptome sind starke Kopfschmerzen, Schmerzen beim Kauen sowie Beschwerden im Schulter- und Beckenbereich. Aber auch Fieber kann in diesem Zusammenhang auftreten.

Schäden an Kleinstgefäßen

Besorgniserregend sind jedoch vor allem die Komplikationen, die die Gefäßentzündung mit sich bringen kann. „Über 20 Prozent der Betroffenen entwickeln Folgeschäden wie Sehstörungen oder einen Schlaganfall“, sagt Professor Dr. med. Bernhard Hellmich, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Rheumatologie und Immunologie der medius Klinik Kirchheim und einer der Koordinatoren der neuen Leitlinie. Dabei zählen die Sehstörungen, die bis zur Erblindung reichen können, zu den frühen Symptomen. Die neue Leitlinie empfiehlt daher, bereits beim Verdacht auf eine Riesenzellarteriitis umgehend mit einer Glukokortikoid-Therapie zu beginnen, die Augenschäden meist effektiv verhindert. Die Diagnostik sollte dann jedoch möglichst rasch vervollständigt werden, bevor die Gefäßveränderungen sich zu stark zurückbilden und nicht mehr sicher zu erkennen sind.

Bild-Diagnostik genügt

Die Diagnose der Riesenzellarteriitis stützt sich hauptsächlich auf bildgebende Verfahren, eine Biopsie ist nur noch in Ausnahmefällen nötig. „Mithilfe von hochauflösendem Ultraschall, MRT- oder PET-CT-Aufnahmen der Gefäße kann die Erkrankung heute meist sehr schnell diagnostiziert werden“, bestätigt Dr. med. Jan Henrik Schirmer von der Klinik für Innere Medizin I des UKSH, Campus Kiel, Erstautor einer neuen Behandlungsleitlinie. Im Idealfall geschehe dies im Rahmen einer Fast-Track- beziehungsweise Akut-Sprechstunde in einem spezialisierten Zentrum – hier könne eine Riesenzellarteriitis meist innerhalb von 24 Stunden sicher erkannt und die Therapie entsprechend früh eingeleitet werden. Diese besteht laut der neuen S2k-Leitlinie 22 aus einer Kombinationstherapie, die es erlaube, die Dosis der anfangs nötigen Glukokortikoide rascher zu senken. (red)