Allgemeine Medizin

„Wir sind die Ärzte hinter den Ärzten“

Selten stand die Laboratoriumsmedizin so im Fokus des allgemeinen Interesses wie jetzt. Dr. Andreas Bobrowski, Arzt, Diplom-Chemiker und Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Laborärzte, erklärt, was sie so wichtig macht.

17.11.2021
Blut wird im Labor genau untersucht.  Foto: AdobeStock/Henrik Dolle Blut wird im Labor genau untersucht. Foto: AdobeStock/Henrik Dolle

Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern ist die Laboratoriumsmedizin in Deutschland ein ausschließlich ärztliches Fach. Zur Ausübung dieser Tätigkeit ist eine 6-jährige Facharztausbildung notwendig, die sich an das Medizinstudium nach Erhalt der Approbation anschließt. Neben einer gründlichen Ausbildung auf allen Gebieten der Laboratoriumsmedizin sieht dieser Weiterbildungsgang auch mindestens ein Jahr klinische Tätigkeit, meist im Fach Innere Medizin, vor. Da der niedergelassene Facharzt für Laborato-
riumsmedizin von den ambulant tätigen Haus- und Fachärzten meist per Überweisung mit der Durchführung von Laboruntersuchung beauftragt wird, hat er keinen oder nur sehr seltenen direkten Patientenkontakt. In den letzten Jahren ändert sich dies jedoch kontinuierlich, da es bei den immer komplexer werdenden Krankheitsbildern immer häufiger vorkommt, dass der Patient direkt auch im Labor vorgestellt wird. Bei den in der Klinik tätigen Fachärzten für Laboratoriumsmedizin ist es derzeit schon gang und gäbe, dass die im Labor tätigen Kolleginnen und Kollegen in den Bereichen mit besonders komplexen Krankheitsbildern und schwierigen mikrobiologischen Fragestellungen auch regelmäßig an den Visiten auf den betreffenden Stationen teilnehmen.

Im Laufe der Jahre hat sich die Laboratoriumsmedizin von einem versorgungsrelevanten Fach zu einem systemrelevanten Fach entwickelt. Das folgt vor allen Dingen schon daraus, dass die Fachärzte für Laboratoriumsmedizin nicht nur in den ihnen zugewiesenen originären Fächern wie Klinische Chemie, Hämatologie, Gerinnungsdiagnostik, Serologie, Mikrobiologie etc. tätig ist, sondern im Gesundheitssystem auch die Gebiete Hygiene, Infektionsschutz, Arbeitsmedizin und auch insbesondere bei der Drogenanalytik das Gebiet der Sozialmedizin mit abdecken.
Insofern steht die Laboratoriumsmedizin absolut im Zentrum der Versorgung. Dies kann sie aber nur leisten, wenn sie weiterhin in der gesamten Republik flächendeckend und wohnortnah zur Verfügung steht.

Die Laboratoriumsmedizin ist mit Abstand eines der innovativsten Fächer in der gesamten medizinischen Versorgung. Sowohl die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und mit in einem etwas geringeren Maß die Gebührenordnung für die Kassenärztliche Versorgung (EBM) sind im Kern so strukturiert, dass neue Untersuchungs-Verfahren und Methoden möglichst schnell und unkompliziert den Patienten zur Verfügung gestellt werden können. Dies gilt insbesondere für die molekularbiologischen und molekulargenetischen Methoden, die es auf vielen Gebieten der Medizin ermöglichen, zielsichere Diagnosen zu stellen. Daneben zählen aber auch hochkomplizierte physikochemische Methoden wie die Massenspektroskopie oder Atomabsorptionsspektroskopie zur Standardausrüstung eines jeden Laboratoriums. Durch dieses breite Angebot an Methoden und Parametern gehört es zu den größten Erfolgen der Laboratoriumsmedizin, die Zeit zwischen einem geäußertem klinischem Verdacht und einer endgültigen Diagnose und Prognosestellung massiv verkürzt zu haben.
Mit einem Budget von etwa 4,1 Milliarden Euro wird durch die laboratoriumsmedizinischen Untersuchungen ein großer Teil der Gesundheitsausgaben in Deutschland in Höhe von 280 Milliarden Euro gesteuert. Damit sind die etwa 1000 in Deutschland tätigen Laborärzte in 60 bis 70 Prozent der Fälle für die Entscheidungen in Diagnostik und Therapie von etwa 350

000 Ärzten verantwortlich.

Von Beginn an haben die Fachärzte für Laboratoriumsmedizin die Herausforderungen der Pandemie, die von der Gesellschaft an ihr Fach gestellt wurden, angenommen. In einer ungewöhnlich kurzen Zeit standen entsprechende Teste, die meistens von den Laboratorien selbst entwickelt wurden, zur Verfügung, sodass Deutschland gerade in den ersten beiden Wellen wesentlich besser durch die Pandemie gekommen ist als unsere Nachbarländer. Bis auf wenige Ausnahmen konnten von Beginn an die 24 Stunden-Fristen eingehalten werden und somit den Gesundheitsämtern zeitnah die Untersuchungsergebnisse übermittelt werden. Dies war aber nur deshalb möglich, weil die Medizinischen Laboratorien in Deutschland zu dem am besten digitalisierten Bereich im Deutschen Gesundheitssystem zählen. Durch die Kompetenz der Fachärzte für Laboratoriumsmedizin war es sehr schnell möglich, entsprechende Vernetzungsstrukturen aufzubauen. Hierbei haben die Laboratorien in Deutschland nicht nur einen hohen Kostenanteil mitgetragen, sondern auch entsprechend qualifiziertes Personal zur Verfügung gestellt. Mittlerweile sind alle Gesundheitsämter an die TI-Strukturen der Laboratorien angeschlossen, sodass sowohl die Meldung an die Gesundheitsämter als auch die Erfassung von epidemiologischen Daten und deren

Weiterleitung an das RKI über gesicherte Netzstrukturen erfolgen kann.
Auch wenn letztendlich die Impfungen, an denen sich auch zahlreiche Laboratorien beteiligen, zum Durchbruch bei der Bekämpfung der Pandemie geführt haben, spielen die Laboratorien nach wie vor durch
die immer noch 800

000 bis 900

000 durchgeführten Teste pro Woche, vor allen Dingen auch im Bereich der Schulen, eine zentrale Rolle bei der Pandemiebekämpfung.

Neben der eben schon beschriebenen hohen Innovationskraft und den Entwicklungsmöglichkeiten der Laboratoriumsmedizin bleibt es eine unserer Hauptaufgaben, ausreichenden qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen, denn nur, wenn weiterhin ausreichend Fachärztinnen und Fachärzte für Laboratoriumsmedizin zur Verfügung stehen, kann die schon jetzt zentrale Rolle der Laboratoriumsmedizin mit ihren Herausforderungen bedient werden. Dazu ist es wichtig, dass zukunfts- und rechtssichere Strukturen geschaffen werden, in denen auch eine angemessene Honorierung möglich sein muss. Nur wenn auch zukünftig sichergestellt ist, dass die Laboratoriumsmedizin eine ärztliche Disziplin bleibt, wird sichergestellt, dass die hohe Qualität und flächendeckende Versorgung, wie sie heute in Deutschland vorhanden ist, auch in Zukunft abgesichert ist.

Durch die rasante Weiterentwicklung auf vielen Gebieten der Laboratoriumsmedizin entwickelt sich auch dieses Fach von der reinen Laborarbeit in Richtung einer klinischen Tätigkeit. Dieser Weg sollte unbedingt weiter beschritten werden, da die Fachärzte für Laboratoriumsmedizin mit ihrem Fachwissen aus allen Disziplinen der Medizin auch im direkten Patientenkontakt zur schnellen Diagnose und Therapieanleitung beitragen können.

Der besondere Reiz des Faches Laboratoriumsmedizin besteht für mich in der Vielfältigkeit der daraus resultierenden Aufgaben, wobei an erster Stelle natürlich die ärztliche Tätigkeit in der Diagnosefindung und Beratung der klinisch tätigen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen besteht. Wir sind die Ärzte hinter den Ärzten. Daneben sind Fachärztinnen und Fachärzte für Laboratoriumsmedizin aber auch im Labor als Teamplayer gefordert, um die Vielzahl der unterschiedlichen Abteilungen und den darin tätigen Kolleginnen und Kollegen zu dem gemeinsamen Ziel einer flächendeckenden und schnellen Versorgung mit Laboruntersuchungen zu führen. Dazu gehört stets auch der Blick auf das gesamte Gesundheitssystem, das durch die Arbeit der Fachärzte für Laboratoriumsmedizin mit ihren Kenntnissen der Digitalisierung, Infrastrukutur und Organisation entscheidend mitgeprägt wird.

Nach Abschluss meines Chemiestudiums mit Approbation bin ich nicht den klassischen Weg in die chemische Industrie gegangen, sondern habe das Studium der Humanmedizin angeschlossen. Diese Kombination mit einer mehrjährigen Tätigkeit in der Inneren Medizin ist mir als Facharzt für Laboratoriumsmedizin immer zugute gekommen, gerade wenn es darum ging, neue Methoden in unserem Labor einzuführen und für die Patientenversorgung nutzbar zu machen.

Für viele junge Kolleginnen und Kollegen spielt neben ihrer ärztlichen Tätigkeit auch die Work-Life-Balance eine zentrale Rolle in der Gestaltung ihres Arbeitslebens. Gerade hier stellen die diagnostischen ärztlichen Fächer eine sehr gute Alternative zu der klinischen Tätigkeit dar, da sich Familie und eine Arbeit im Labor gut miteinander verbinden lassen. Darüber hinaus wird das Fach Laboratoriumsmedizin in seiner Vielfältigkeit von keinem anderen Fach in der Medizin übertroffen und hält selbst nach jahrzehntelanger Tätigkeit stets noch Überraschungen bereit.

Die Fragen stellte
Eva Wodarz-Eichner.