Allgemeine Medizin

Vom Kinderwunsch zum Wunschkind

Eigentlich ist es das natürlichste der Welt, wenn eine Frau ein Kind bekommt. Manchmal aber will es einfach nicht klappen. Das kann viele Gründe haben – zum Glück gibt es viele Auswege aus der ungewollten Kinderlosigkeit.

23.11.2023
Für viele gehört ein Kind zu einem erfüllten Leben.   Foto: AdobeStock/detailblick  Foto: AdobeStock/LanaK Wieder ein negativer Schwangerschaftstest: Manchmal steigt die Verzweiflung.  Foto: AdobeStock/Eziutka Für viele gehört ein Kind zu einem erfüllten Leben. Foto: AdobeStock/detailblick Foto: AdobeStock/LanaK Wieder ein negativer Schwangerschaftstest: Manchmal steigt die Verzweiflung. Foto: AdobeStock/Eziutka

Irgendwann kommt die Frage – spätestens, wenn ein Paar schon seit Jahren zusammen ist oder vor einiger Zeit geheiratet hat: „Und wie sieht es bei euch mit dem Nachwuchs aus?“ Oder: „Wollt ihr keine Kinder?“ Noch schlimmer: Wenn Bekannte und Verwandte mehr oder weniger offensichtlich den Bauch der Frau mustern und dann womöglich zu einer Schwangerschaft gratulieren, die es noch gar nicht gibt. Peinlicher geht’s kaum. Vor allem, wenn im Freundeskreis einer nach dem anderen die Nachricht von einem bevorstehenden freudigen Ereignis verkündet, Babybäuche in unterschiedlichen Größen stolz präsentiert werden und die jüngere Schwester strahlend schon das zweite Kind im Arm hält. Paare, die sich bewusst gegen Kinder entschieden haben, können selbstsicher kontern, aber den Paaren, die seit längerem erfolglos versuchen, ein Kind zu bekommen und Floskeln wie „Wir lassen uns noch ein bisschen Zeit“ oder: „Wir üben noch“, zur Antwort geben, können solche Situationen zur Qual werden. Und den Druck, endlich ein Kind zu zeugen, noch weiter steigern. Mit jedem weiteren negativen Schwangerschaftstest steigt die Verzweiflung und auch die Verunsicherung – das kann sogar so weit führen, dass sich Paare oder vor allem Frauen von Freunden und Familie zurückziehen, um solchen Fragen aus dem Weg zu gehen. „Auf Dauer kann diese seelische Belastung zur Entstehung psychischer Erkrankungen wie Depressionen beitragen“, weiß Dr. Heidi Gößlinghoff, Frauenärztin und Kinderwunschexpertin aus dem nordrhein-westfälischen Heiligenhaus.
Doch woran kann es liegen, wenn sich die ersehnte Schwangerschaft einfach nicht einstellt? Dahinter können sich unter anderem Geschlechtskrankheiten oder hormonelle Störungen wie eine Anovulation – ein Mens-truationszyklus ohne Eisprung – oder Veränderungen der Geschlechtsorgane wie Verwachsungen der Gebärmutter verbergen. Aber auch ungesunde Ernährung, übermäßiger Alkoholkonsum, Rauchen, Übergewicht, Essstörungen sowie Stress gehören zu den Risikofaktoren, die die Fruchtbarkeit negativ beeinflussen können. Insbesondere der letzte Punkt spielt eine entscheidende Rolle, denn Psyche und Körper beeinflussen sich gegenseitig. „Geraten Frauen zunehmend in Stress, setzt der Körper unter anderem das Stresshormon Cortisol frei, das die Häufigkeit der Freisetzung von FSH und LH verändern kann – Hormone, die die Funktion der Eierstöcke steuern. Eine verminderte Ausschüttung kann beispielsweise zum Ausbleiben der Menstruation führen oder den Eisprung erschweren“, erklärt die Frauenärztin. Und natürlich spielt das Alter der Frau (und auch des Mannes!) eine Rolle: Viele Paare planen erst spät eine Familiengründung. Laut Statistischem Bundesamt waren Frauen im Jahr 2020 bei der Geburt ihres ersten Kindes im Durchschnitt 30,2 Jahre alt. 2010 lag das Durchschnittsalter noch bei 29 – in den vergangenen Jahren stieg das Alter der Frauen bei ihrer ersten Schwangerschaft kontinuierlich an. Fragt man Mediziner nach dem richtigen Zeitpunkt beziehungsweise Alter zum Kinderkriegen, lautet die Antwort meist: Je
früher, desto besser. Zumindest in Bezug auf die Fruchtbarkeit und das Risiko für genetische Defekte. Häufig hört man auch vom dritten Lebensjahrzehnt, also der Zeit zwischen 20 und 30, als optimales Alter zum Kinderkriegen. Doch den perfekten Zeitpunkt gibt es selten – manche Frau wünscht sich bereits mit 19 ihr erstes Kind. Andere starten erst mal im Beruf durch, lassen sich Zeit für ausgedehnte Reisen und aufregende Hobbys oder treffen ihren Traummann erst mit 40 – und wünschen sich dann mit 43 ein Kind. Mit zunehmendem Alter machen sich dann viele Frauen mehr und mehr Gedanken, wenn es mit dem Wunschkind nicht so schnell klappt. Manchen fällt es schwer, gelassen zu bleiben. Stress schadet jedoch dem Kinderwunsch und sollte möglichst vermieden werden. Und auch andere Faktoren setzen die Fruchtbarkeit herab: Rauchen wirkt sich beispielsweise negativ aus, die Inhaltsstoffe von Zigaretten schädigen Eizellen. Zudem kommen Raucherinnen drei bis fünf Jahre früher in die Wechseljahre. Unter- oder Übergewicht stören hingegen den Hormonhaushalt und beeinflussen so ebenfalls die Eizellreifung. Ein gesunder Lebensstil mit einer ausgewogenen Ernährung, genügend Schlaf und reichlich Bewegung hilft dabei, endlich schwanger zu werden. Vielen ist allerdings gar nicht klar, dass die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, in jedem Menstruationszyklus nur bei 20 bis 30 Prozent liegt und dass eine Befruchtung nur während des Eisprungs stattfinden kann. „Sollte jedoch eine Krankheit wie Endometriose, Krebs oder eine Entzündung der Grund für eine ausbleibende Schwangerschaft sein, gilt es mit einem Arzt zu sprechen und gegebenenfalls eine Beratung in einer Kinderwunschklinik wahrzunehmen“, empfiehlt Heidi Gößlinghoff. Generell lässt die Fruchtbarkeit einer Frau ab einem Alter von etwa 35 Jahren nach. Ihre Eizellen sind tatsächlich irgendwann aufgebraucht. „Und auch die Spermienqualität des Mannes verschlechtert sich ab 40 bis 45“, sagt Dr. Gößlinghoff. Bei der Geburt befinden sich im Eierstock zwei Millionen Eizellen. Bereits in der Pubertät hat sich die Zahl auf 300.000 bis 500.000 reduziert. Und jeder Zyklus und Eisprung trägt zum Abbau der Zellen bei. Zudem altern auch die Eizellen und die Trennung der Chromosomenpaare funktioniert nicht mehr einwandfrei. So kann es entweder zu keiner Schwangerschaft oder zu genetischen Fehlbildungen kommen. Grundsätzlich können Frauen bis zum Beginn der Wechseljahre Kinder bekommen – dann spielt ihre körperliche und seelische Gesundheit eine größere Rolle als bei jüngeren. Die Freude über das späte Mutterglück ist aber häufig umso größer. (eva)