Allgemeine Medizin

Mit neuen Therapie-Säulen gegen Krebs

Im Interview erklärt Dr. Susanne Weg-Remers, Ärztin und seit 2012 Leiterin des Krebsinformationsdienstes (KID) im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, neue Möglichkeiten der Krebstherapie und wie man sich vielleicht vor einer Krebs-Erkrankung schützen kann.

08.09.2023
 Foto: AdobeStock/burdun Dr. Susanne Weg-Remers leitet den KID. 	 Foto: Carina Kircher, DKFZ Regelmäßige Vorsorge-Untersuchungen verringern das Risiko, an Krebs zu erkranken.                                           	 Foto: AdobeStock/WavebreakMediaMicro Foto: AdobeStock/burdun Dr. Susanne Weg-Remers leitet den KID. Foto: Carina Kircher, DKFZ Regelmäßige Vorsorge-Untersuchungen verringern das Risiko, an Krebs zu erkranken. Foto: AdobeStock/WavebreakMediaMicro

Jedes Jahr wird in Deutschland bei rund einer halben Million Menschen eine Krebserkrankung festgestellt. Am häufigsten sind Brust- und Prostatakrebs, gefolgt von Darm- und Lungenkrebs. Geschlechterspezifisch lässt sich das folgendermaßen aufsplitten: Frauen erkranken am häufigsten an Brustkrebs, wobei auch Männer einen Brustkrebs entwickeln können. Bei Frauen folgen der Darm- und der Lungenkrebs an zweiter und dritter Stelle. Männer sind am häufigsten von Prostatakrebs betroffen, dann folgt der Lungen- und dann der Darmkrebs.

Die meisten Todesopfer fordert der Lungenkrebs – einfach, weil er eine sehr häufig vorkommende und oft erst spät erkannte Krebsart ist. Rund 45.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland daran. Statistisch gesehen hat aber der Krebs des Rippenfells (Mesotheliom) die schlechteste Überlebensrate: Weniger als 10 Prozent der Patientinnen und Patienten, bei denen diese Krebsart diagnostiziert wird, sind zehn Jahre später noch am Leben. Das Mesotheliom ist ein seltener Tumor des Weichteilgewebes, der Männer häufiger als Frauen betrifft. Er lässt sich schlecht behandeln, weil er an problematischer Stelle zwischen Lunge und Rippen und in der Nachbarschaft wichtiger Organe auftritt. Dort kann er sich meist unbemerkt gut ausdehnen. Aber auch bei Bauchspeicheldrüsen- und bei Leberkrebs ist die Prognose schlecht, weil diese Tumore oft erst spät Symptome machen. Und eben auch bei Lungenkrebs.

Die Diagnose, Krebs zu haben, ist nach wie vor schlimm. Allerdings haben dank der Fortschritte der medizinischen Forschung mehr als die Hälfte der Erkrankten mittlerweile eine Chance auf Heilung. Und für Menschen mit fortgeschrittenem Krebs gibt es neue, zielgerichtete Medikamente und Immuntherapien, mit denen sich in geeigneten Fällen die Krankheit über einen längeren Zeitraum aufhalten lässt. Entsprechende Therapien werden beispielsweise gegen Schwarzen Hautkrebs, Lungenkrebs oder die verschiedenen Formen von Leukämie eingesetzt. Bei einem Teil der betroffenen Patienten werden damit sehr gute Ergebnisse erzielt, bei akzeptablen Nebenwirkungen. Das macht Hoffnung.

Bis vor 20 oder 30 Jahren gab es im Wesentlichen drei Säulen in der Krebsbehandlung: Der Tumor wurde in einer Operation entfernt, ergänzend wurden dann Chemo- und / oder Strahlentherapie eingesetzt. Diese Standard-Therapien wurden über die Jahre weiterentwickelt. Damit haben sich bereits die Heilungschancen für viele Krebskranke deutlich verbessert. Zusätzlich gibt es heute zwei neue Therapie-Säulen: Zielgerichtete Therapien und Immuntherapien. Sie wurden entwickelt, weil man heute die biologischen Zusammenhänge bei Krebs zunehmend besser versteht. So werden durch die zielgerichteten Therapien bestimmte biologische Mechanismen in den Krebszellen angesteuert, um das Tumorwachstum zu bremsen. Bei den Immuntherapien wird das körpereigene Immunsystem aktiviert. Und zwar dazu, gegen eigene Zellen zu arbeiten – eben gegen die Krebszellen. Diese Methode wird beispielsweise bei Krebskranken mit Schwarzem Hautkrebs oder Lungenkrebs eingesetzt. Zielgerichtete und Immuntherapien wirken allerdings nicht bei allen Patienten, sondern nur bei denen, die bestimmte günstige biologische Voraussetzungen erfüllen. Meist können die neuen Therapien helfen, das Leben zu verlängern. In wenigen, besonders günstig verlaufenden Fällen können sie aber auch bei Patienten mit Metastasen noch dazu führen, dass der Patient tumorfrei wird.

Eine Chemotherapie kann als Tablette oder auch als Infusion verabreicht werden. Diese starken Medikamente schädigen vor allem Zellen, die sich schneller als gesunde Zellen teilen. Dabei kommt es zu Nebenwirkungen auf andere sich schnell teilende Zellen – beispielsweise auf Haarwurzelzellen oder auf die Zellen der Magen-Darm-Schleimhaut. Deshalb kann es während einer Chemotherapie zu Haarausfall und zu Magen-Darm-Problemen kommen. Zellen, die sich langsam oder gerade gar nicht teilen, werden nicht erreicht. Deshalb können nicht immer alle Krebszellen zu hundert Prozent zerstört werden. Außerdem können sich im Verlauf der Erkrankung Resistenzen gegen die eingesetzten Medikamente entwickeln.

Die eben erwähnten drei Säulen in der Tumorbehandlung – OP, Chemo- und Strahlentherapie – werden heute durch die zielgerichteten Medikamente und die Immuntherapie ergänzt. Meist werden bei der Behandlung mehrere Therapieverfahren kombiniert. Die operative Entfernung des Tumors ist in vielen Fällen Voraussetzung für eine Heilung. Weitere Therapien werden vor oder nach der Operation eingesetzt und sorgen z.B. dafür, dass schonender operiert werden kann oder das Rückfallrisiko gesenkt wird.

Das ist immer schwierig und der Arzt muss jeden Fall individuell ganz genau beurteilen. Dazu gehört es, die Motivation des Patienten herauszufinden, also den Grund dafür, warum er die Behandlung nicht annehmen möchte. Wenn der Patient oder die Patientin schon sehr alt ist, etliche Begleiterkrankungen hat und die Erkrankung weit fortgeschritten ist, ist es eine legitime und nachvollziehbare Entscheidung, wenn er oder sie für sich beschließt, sich nicht für vielleicht zwei oder drei gewonnene Monate einer schweren Operation und einer anstrengenden Behandlung mit starken Nebenwirkungen auszusetzen. Das muss man dann akzeptieren. Handelt es sich allerdings um einen jungen Menschen mit reellen Heilungschancen, muss der Arzt ihm das klar vor Augen führen. Eine Ablehnung kann in einem solchen Fall dazu führen, dass der Krebs weiter wächst und man die Heilungschance verspielt. Auf jeden Fall müssen intensive Aufklärungsgespräche geführt werden. Möglicherweise ist ein Kompromiss ein Ausweg, etwa, dass man operiert, dann aber auf eine Chemotherapie verzichtet. Das sind ganz individuelle Entscheidungen.

Vermeidbare Lebensstil- und Umweltfaktoren spielen bei zirka 40 Prozent der Krebserkrankungen eine Rolle. Dazu zählen Rauchen, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel und daraus resultierendes Übergewicht, Alkoholkonsum, UV-Strahlung und Umweltfaktoren wie beispielsweise eine Radon-Belastung oder Feinstaub. Das ist eine ganze Menge und macht deutlich, dass man einiges dafür tun kann, um eben nicht an Krebs zu erkranken: Einfach ein gesundes Leben führen, auf Nikotin verzichten und auch bei der Ernährung darauf achten, dass beispielsweise nur wenig rotes Fleisch auf den Tisch kommt. Es gibt allerdings auch eine schlechte Nachricht: Rund 50 Prozent aller Krebserkrankungen lassen sich nicht vermeiden, weil Krebs in vielen Fällen zufallsabhängig entsteht. Bei etwa 10 Prozent der Erkrankungen spielt eine erbliche Veranlagung eine Rolle: Manche von einem Elternteil ererbten Fehler in der Erbinformation können durch Tests nachgewiesen werden. Besonders bei familiären Formen von Brust- und Eierstockkrebs, aber auch bei familiärem Darmkrebs ist das möglich. Wird ein solcher Fehler in der Erbinformation nachgewiesen, so eröffnet dies die Möglichkeit, einzugreifen, schon bevor eine Erkrankung auftritt: So entscheiden sich beispielsweise manche Frauen, die ein hohes Risiko haben, an Eierstockkrebs zu erkranken, dafür, die Eierstöcke vorsorglich entfernen zu lassen, wenn ihre Familienplanung abgeschlossen ist. Menschen mit einer erblichen Veranlagung für Brustkrebs oder Darmkrebs können intensivierte Früherkennungsprogramme in Anspruch nehmen.

In Deutschland gibt es ein gesetzliches Krebs-Früherkennungsprogramm. Dabei wird die Gebärmutterhalskrebs-Vorsorge für Frauen ab 20 Jahren angeboten, die Brustkrebs-Früherkennung für Frauen ab 30 und die Prostatakrebs-Früherkennung für Männer ab 45. Für alle ab 35 gibt es die Hautkrebs-Vorsorge und für Männer und Frauen ab 50 die Darmkrebs-Früherkennung. Man sollte sich gut über Vor- und Nachteile dieser Untersuchungen informieren und dann entscheiden, ob man sie in Anspruch nehmen möchte. Darüber hinaus sollte man auch selbst sensibel gegenüber dem eignen Körper bleiben und auf Warnsignale achten. Frauen sollten auf jeden Fall regelmäßig die Brust abtasten – oft wird ein Brustkrebs von der Patientin selbst gefunden. Wenn Beschwerden länger als einige Wochen anhalten, sollte man den Arztbesuch nicht auf die lange Bank schieben.

Neben bildgebenden Untersuchungen wird momentan an verschiedenen Bluttests geforscht. Das ist allerdings noch nicht ganz ausgereift.

Der Krebsinformationsdienst gehört zum Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und bietet Patienten, Familienangehörigen und Interessierten umfangreiche Hilfestellung an. Nicht nur durch viele Informationen auf der Website, sondern auch persönlich über Telefon und E-Mail. So beantworten wir Fragen zu konkreten Krebs-Diagnosen, können aber auch gute Informationen zu psychosozialen Fragen geben – beispielsweise über den Umgang mit Krebs am Arbeitsplatz. Das ist eine Arbeit, die wir als sehr sinnstiftend empfinden.

Weitere Informationen gibt es unter: (https://www. krebsinformationsdienst.de)

Die Fragen stellte
Dr. Eva Wodarz-Eichner