Allgemeine Medizin

Deutschland gibt Gas in der Forschung

„Viele Krebsfälle werden künftig zu verhindern sein“

das sagen Experten der deutschen Krebsforschung und verbreiten damit Zuversicht.

08.09.2023
Foto: AdobeStock/elenabsl  Foto: AdobeStock/VectorBum Foto:  DKFZ Hauptgebäude / Tobias Schwerdt Foto: AdobeStock/elenabsl Foto: AdobeStock/VectorBum Foto: DKFZ Hauptgebäude / Tobias Schwerdt

Jedes Jahr erkrankt in Deutschland rund eine halbe Million Menschen an Krebs. Obwohl es in den vergangenen Jahren viele Erkenntnisse in Bezug auf die Früherkennung und Behandlung gab, ist Krebs immer noch die zweithäufigste Todesursache. In Deutschland gibt es große Bemühungen, das zu ändern. Allein die Deutsche Krebshilfe investierte 2022 rund 74 Millionen Euro in die Forschung. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg ist die größte biomedizinische Forschungseinrichtung Deutschlands. Dort arbeiten mehr als 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in über einhundert Abteilungen und Forschungsgruppen daran, der Krankheit unserer Zeit auf den Grund zu gehen. Das Gesamtbudget beläuft sich auf 319 Millionen Euro. Immer geht es um die Frage, wie Krebs entsteht und welche Strategien verhindern können, dass Menschen daran erkranken. Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 89 Nationen suchen nach Antworten auf ungeklärte Fragen.
Das DKFZ ist gut vernetzt. Um seine Ergebnisse in die Kliniken zu übertragen, betreibt es gemeinsam mit Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in Deutschland sogenannte Translationszentren. Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren und wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu zehn Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert. Erst im Juli eröffnete das DKFZ in Heidelberg ein nagelneues, vollautomatisiertes Logistikzentrum für tiefgekühlte Bioproben für die Krebsforschung. Diese – so lässt sich erkennen – ist in Deutschland von Bedeutung. Um zu verstehen, in welche Richtung sich die Krebsforschung bewegt, wo die Wissenschaft Schwerpunkte setzt, macht es Sinn, das Krankheitsgeschehen zunächst zu begreifen. Immer geht es bei Krebs um eine Schädigung des Erbguts, der DNA. In den Genen, den Trägern der Erbanlagen, die in jeder Zelle vorhanden sind, entstehen Schäden, die von der Zelle nicht mehr repariert werden können. Dann wird die Erbinformation „verfälscht“, es kommt zu Mutationen, zur unkon-trollierten Zellteilung.
Die Zellen stimulieren sich in diesem Fall selbst zur Teilung und ignorieren wachstumshemmende Signale aus der Zell-Umgebung, erklärt die Deutsche Krebshilfe. Gefährlichste Eigenschaft der Tumorzellen ist es, in benachbartes Gewebe eindringen zu können, sich im Körper auszubreiten und an anderen Stellen Tochtergeschwülste zu bilden. Jede einzelne der 100 Billionen menschlichen Körperzellen kann davon betroffen sein und in eine Tumorzelle übergehen. DNA-Schäden entstehen unter anderem durch UV-Strahlen, Tabakrauch, Chemikalien, hohen Alkoholgenuss, eine ungesunde Lebensweise und durch chronische Infektionen. Aber auch das Alter ist ein Faktor, denn mit den Jahren arbeitet das Reparatursystem der Zelle unzuverlässiger.
Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Hochdurchsatzverfahren zur biomolekularen Analyse von Tumoren sind heute die zentralen Schlüsseltechnologien in der Krebsforschung, erklärt das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Doch trotz aller Erfolge sei mittlerweile klar, dass es den einen Befreiungsschlag gegen Krebs nicht geben könne. Krebs sei keine einheitliche Erkrankung. Die zahlreichen Tumorarten forderten verschiedene, personalisierte Therapien. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf stellen deshalb im Rahmen des aktuellen Programms „Krebsforschung“ unter anderem folgende Fragen: Welche Prozesse im Körper sind für Wachstum und Überleben der Krebszellen verantwortlich? Wie unterscheiden sich Gene und Signalmechanismen in Krebszellen von denen in gesunden Zellen und warum kann das Immunsystem diese Krebszellen nicht abwehren? Wie kann künstliche Intelligenz helfen, Krebserkrankungen sicherer und präziser zu diagnostizieren? Und mit welchen innovativen Therapieformen lassen sich Tumore effektiv bekämpfen? Das DKFZ ist bei der Umsetzung dieses Forschungsprogramms federführend und geht davon aus, dass in den nächsten 20 bis 30 Jahren bis zu 40 Prozent an neuen Krebsfällen verhindert werden können.
Bilanzierend lässt sich sagen, dass mehr neue Medikamente auf den Markt kommen, um den Krebs auszuschalten. Viele Tumore sind jedoch immer noch unheilbar. Auf einem Kongress im Februar in Kassel diskutierten Forschende neueste Strategien zum Eliminieren von Tumorzellen. Im Fokus standen dabei Immuntherapien und Proteinkiller, wie die Tagesschau berichtete. Bei der Immuntherapie wird das eigene Immunsystem aktiviert, um den Tumor zu bekämpfen. Bei Leukämie und Lymphomen funktioniert das wohl schon sehr gut. Sogenannte Checkpoint-Hemmer durchbrechen dabei die Barriere, die die Tumorzelle gegen das Immunsystem aufgebaut hat. Die Immunzellen des Körpers können dann wieder angreifen. Allerdings gibt es Metastasen, die sich vor dem Immunsystem verstecken. Da greift die Immuntherapie nicht. Dieses Versteckspiel wollen die Forscherinnen und Forscher besser verstehen.
Zudem gibt es vielversprechende Wirkstoffe, sogenannte PROTACs, die die Tumorzelle auffressen. Diese Proteinkiller, die eine Wunderwaffe besonders gegen Prostata- und Brustkrebs werden könnten, sind noch in der klinischen Erprobung. Derzeit bauen das Deutsche Krebsforschungszentrum und die Deutsche Krebshilfe gemeinsam ein Nationales Krebspräventionszentrum in Heidelberg auf, Unter Einbeziehung weiterer regionaler Partnerschaften soll dort eine evidenzbasierte und zunehmend personalisierte Krebsprävention deutschlandweit systematisch auf- und ausgebaut werden.

(ti)