Allgemeine Medizin

„Den Verstand nicht zu Hause lassen“

Im Interview erklärt Prof. Dr. Michael Ramharter, Leiter der Abteilung Klinische Forschung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg und der Sektion Tropenmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, worauf auf Reisen geachtet werden sollte. Damit der Traumurlaub nicht zum Albtraum wird.

15.06.2023
Wenn alles gut läuft, bietet eine Reise wunderbare Entspannung. Etwaige Krankheitssymptome während oder nach dem Urlaub sollten jedoch nicht unterschätzt werden.   Foto: AdobeStock/Jenny Sturm Prof. Dr. Michael Ramharter leitet unter anderem die Abteilung Klinische Forschung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg.   Foto: Eva Hecht Wenn alles gut läuft, bietet eine Reise wunderbare Entspannung. Etwaige Krankheitssymptome während oder nach dem Urlaub sollten jedoch nicht unterschätzt werden. Foto: AdobeStock/Jenny Sturm Prof. Dr. Michael Ramharter leitet unter anderem die Abteilung Klinische Forschung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg. Foto: Eva Hecht

Die gefährlichsten Krankheiten, die einen auf Reisen erwischen können, sind prinzipiell nicht solche, mit denen man sich infiziert. Nein, sie beruhen auf Unfällen. Ob Verkehrs- oder Sportunfälle – sie werden meist durch Aktivitäten ausgelöst, die man zu Hause nicht machen würde: Da denke ich an riskante Sportarten oder auch an leichtsinniges Verhalten, zu dem sich viele im Urlaub eher verleiten lassen als daheim. Wenn man sich irgendwo beispielsweise ein Moped ausleiht, das vielleicht in einem schlechten Zustand ist, und dann betrunken und ohne Helm fährt, kann das schnell zu einem Unfall führen. Oder man hat eine Krankheit schon an den Urlaubsort mitgebracht: So zeigen sich manche psychischen Belastungen, akute Traumata oder auch Depressionen häufig in ungewohnter Umgebung.

Vorrangig holt man sich auch im Urlaub das, was es leider auch zu Hause gibt – beispielsweise Influenza oder Covid 19. Allerdings werden in Regionen, wo die Bevölkerung nicht so durchgeimpft ist wie bei uns, öfter die klassischen Kinderkrankheiten wie Masern oder Windpocken übertragen. Damit können sich auch Erwachsene infizieren. Und etwa zwei Prozent der Reisenden werden von einem Tier gebissen – das könnte eine Tollwut-Infektion zur Folge haben. Nicht zu vergessen die Zeckenstiche, durch die eine Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) übertragen werden kann. Dafür muss man gar nicht weit reisen – vor allem in Süddeutschland kann man sich leicht damit infizieren.

Auch hier würde ich nicht in erster Linie aus medizinischer Sicht antworten, denn eigentlich sind alle Reiseziele (wenn man nicht gerade in unerschlossene Gebiete auf anderen Kontinenten fährt) mit entsprechender Vorbereitung doch soweit sicher, dass man zumindest nicht generell abraten muss. Vorsicht würde ich eher aus anderen Gründen walten lassen und nicht in Regionen mit politischer Instabilität reisen. Also Kriegsgebiete meiden und Krisenregionen, vor allem, wenn dort in der nächsten Zeit Wahlen anstehen. Denn

von allem anderen abgesehen

möchte niemand in Unruhen und Demonstrationen hineingeraten oder vor logistischen Herausforderungen stehen. Und wenn es nur der Flug ist, der gestrichen wird

damit sollte man sich nicht herumschlagen müssen.
Wie sieht es mit den „klassischen“ deutschen Urlaubsgebieten aus (Spanien, Mallorca, Türkei, Schwarzmeerküste, Griechenland, Kanaren…)?
Die Gefahr, sich eine Krankheit zu holen, ist dort in der Regel nicht größer als zu Hause. Natürlich tritt beispielsweise auf Mallorca die Leishmaniose vermehrt auf, die man sich als unerwünschtes Souvenir mitbringen kann, und in Spanien sind erstmals auch Dengue-Fälle entdeckt worden, aber meist gibt es auch in den Urlaubsländern eine gute Krankenversorgung, wenn es denn wirklich nötig werden sollte.

Das kann man so pauschal gar nicht sagen. Wenn ein Geschäftsreisender ein Wochenende in Singapur ist, braucht er einen anderen Impfschutz als jemand, der mit dem Rucksack in den Dschungel will. Deshalb rate ich jedem, der eine Fernreise plant, frühzeitig einen Reisemediziner aufzusuchen und alles mit ihm zu besprechen. Denn es kommt nicht nur auf das Reiseziel an, sondern auch auf den Reisenden selbst

ob er Vorerkrankungen hat und wie alt er ist beispielsweise. In diesem Gespräch wird dann auch die Frage nach eventuellen Impfungen beziehungsweise Auffrischungen geklärt.

Manche Menschen handeln fahrlässig. Beispielsweise, wenn sie ohne Malaria-Prophylaxe in Malaria-Gebiete reisen. Und dann auch noch einen effektiven Insektenschutz vergessen. Eine Malaria-Infektion kann tödlich verlaufen, wenn sie nicht schnell erkannt und behandelt wird. Rund 1

000 Reiserückkehrer nach Deutschland sind pro Jahr mit Malaria infiziert. Wird dann der Hausarzt aufgesucht, denkt dieser manchmal nicht an Malaria

und das kann tragische Folgen haben.

Generell gilt, dass man seinen Verstand nicht zu Hause lassen sollte. In Deutschland würde man auch nicht ohne Helm Moped fahren, also macht man das auch im Urlaub nicht. Auch wenn es verlockend erscheint

auch im Hinblick auf Drogen und sexuelle Kontakte sollte man die gleichen Vorbehalte haben beziehungsweise die gleichen Schutzvorkehrungen treffen wie zu Hause. Wichtig ist, dass man sich vor Reiseantritt über das Urlaubsland informiert, auch über die Sitten und Gebräuche, damit man da nichts falsch macht. Und sich auch nicht auf Erfahrungen verlässt, die andere gemacht haben

nach dem Motto: „Mein Nachbar war in dem Land und hat keine Malaria bekommen, also wird mir auch schon nichts passieren.“

Das ist ganz unterschiedlich und kommt auf die jeweilige Erkrankung an. Steckt man sich beispielsweise mit Covid 19 an, geht es schneller als bei Malaria. Da beträgt die Inkubationszeit meist sieben bis 14 Tage

sie kann aber auch deutlich länger sein und die Erkrankung kann auch noch nach sechs Monaten auftreten.
Typhus tritt meist nach ein bis zwei Monaten auf. Grob kann man sagen: Wenn man sich innerhalb eines halben Jahres nach der Reiserückkehr krank fühlt und zum Arzt geht, sollte man es ihm sagen, wenn man in einem tropischen Land war. Und wenn noch später Symptome auftreten sollten, die man so gar nicht einordnen kann, auch. Beispielsweise der Afrikanische Augenwurm wird durch Bremsen übertragen und macht sich oft erst nach ein bis zwei Jahren bemerkbar.

Im Flugzeug selbst ist die Ansteckungsgefahr überschaubar, weil die Luft gefiltert wird. Die Übertragungswahrscheinlichkeit ist in stickigen Wartebereichen größer, aber auch in U-Bahnen und schlecht belüfteten Bussen.

Zunächst einmal müssen die Medikamente eingepackt werden, die man auch zu Hause braucht. In ausreichender Menge, denn es ist nicht gesagt, dass alle Medikamente problemlos am Urlaubsort erhältlich sind. Und dann Desinfektionsmittel, Pflaster, Schmerzmittel wie Paracetamol, ein Fieberthermometer, Kondome, Insektenschutz und auf jeden Fall ausreichender Sonnenschutz. Denn die Sonne ist ein Hauptproblem auf Reisen

natürlich will man sie genießen, aber wenn man nicht aufpasst, holt man sich schnell einen Sonnenbrand oder einen Sonnenstich.

Wie gesagt kommt es darauf an, wer wohin fährt. Der Reisemediziner kann umfassend beraten, welche Impfung empfehlenswert ist und welche nicht. Zum Beispiel wurde kürzliche eine neue Impfung gegen das Dengue-Fieber zugelassen

da entscheidet der Reisemediziner, für wen sie sinnvoll ist. Eine Malaria-Prophylaxe ist in vielen Ländern immer sinnvoll. Sind Kinder mit dabei, rate ich dazu, immer Trinklösungen im Gepäck zu haben, damit der Elektrolyt-Haushalt nicht durcheinander kommt. Mit Babys sollte man keine Reisen in die Tropen machen, sondern am besten warten, bis das Kind mindestens drei Jahre alt ist. Denn im Notfall ist in den Tropen eben nicht wie bei uns immer und schnell ärztliche Hilfe gewährleistet.

Sehr betroffen gemacht hat mich ein Fall, der schon einige Jahre zurückliegt. Damals war ich an der Uniklinik in Wien tätig. Da wurden wir informiert, dass ein Patient mit Fieber aus Kenia im Anflug sei. Es war ein junger Mann, er wurde direkt in die Uniklinik gebracht und war da schon nicht mehr ansprechbar. Er ist ganz schnell verstorben, hatte seine Malaria-Prophylaxe nicht genommen und seine Symptome offensichtlich unterschätzt

vermutlich hat er geglaubt, dass er sich einfach nur erkältet hat, und ist deshalb nicht zum Arzt gegangen. In besonderer Erinnerung ist mir sein Anblick im Seziersaal geblieben: Seine Füße waren gebräunt und man hat am Sonnenbrand gesehen, wo die Sandalen die Haut bedeckt hatten. Das war ein junger Mann, der vor wenigen Tagen noch seinen Urlaub genossen hat. Das hat mir sehr deutlich gezeigt, wie nah Freude und Leid, Glück und Unglück beieinander liegen. Auch im Urlaub.

Die Fragen stellte Dr. Eva Wodarz-Eichner.