Augen, Nase und Ohren

Ruheinseln für den Alltag schaffen

Sirenen, Autos, Baulärm – wer in einer großen Stadt lebt, kennt diese Krachquellen zu gut. Das ist nicht nur ein Problem fürs Gehör. Die Gesundheit ist dadurch generell in Gefahr.

07.11.2017

Lärm, insbesondere Verkehrslärm, ist nach der Luftverschmutzung der schädlichste Umwelt-Stressfaktor in Europa. Das hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits 2011 festgestellt. In Europa sind demnach 125 Millionen Menschen jedes Jahr von Verkehrslärm betroffen. Eine beunruhigende Entwicklung. Denn Lärm schlägt nicht nur auf die Ohren und fördert die Schwerhörigkeit, er macht auch krank.
Darauf deuten Untersuchungen und Studien schon länger hin. Und auch das persönliche Empfinden der Betroffenen verleiht diesen Nachdruck, was sich immer wieder in Protesten von Bewohnern aus Ballungsgebieten oder in Flughafennähe niederschlägt.
Sie leiden unter akuten Beschwerden wie Schlafstörungen, Stressempfinden und Herz-Kreislauf-Problemen. Schlimmer aber sind die langfristigen Folgen eines hohen Lärmpegels. So steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes, wie erste Resultate der SiRENE-Studie unter der Leitung des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH) zeigen. Die Studie wurde erst Ende Juni 2017 im Rahmen des ICBEN-Kongresses (International Commission on Biological Effects of Noise) in Zürich vorgestellt.

Herz und Kreislauf in Gefahr

Die bisher veröffentlichten Resultate der Studie zeigen: Der Flug-, Schienen- und Straßenverkehrslärm in der Schweiz kann unerwünschte Gesundheitsauswirkungen zur Folge haben. Für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist der Zusammenhang am stärksten beim Straßenlärm erkennbar. Das Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben, steigt um 4 Prozent pro 10 Dezibel Zunahme der Straßenlärmbelastung am Wohnort. Aber auch das Risiko für Bluthochdruck und Herzinsuffizienz steigt durch den Verkehrslärm. „Besonders kritisch sind wahrscheinlich Lärmereignisse in der Nacht, die regelmässig den Schlaf stören“, sagt Martin Röösli, Leiter der SiRENE-Studie und Professor für Umweltepidemiologie am Swiss TPH und der Universität Basel. „Bereits tiefere Lärmbelastungen als bisher angenommen haben negative Auswirkungen auf die Gesundheit.“

Lärm begünstigt Diabetes

Verkehrslärm erhöht auch das Risiko, an Diabetes zu erkranken. Das zeigt eine Untersuchung an 2631 Personen, die unterschiedlich stark lärmbelastet sind. „Dabei spielen zwei Mechanismen eine Rolle“, erklärt Nicole Probst-Hensch, Leiterin des Dept. Epidemiologie und Public Health am Swiss TPH. „Einerseits beeinflusst die chronische Ausschüttung von Stresshormonen den Insulinstoffwechsel. Andererseits ist bekannt, dass Schlafprobleme langfristig den Stoffwechsel negativ beeinflussen.“
Die Gesundheitsauswirkungen von Verkehrslärm verursachen jedes Jahr Kosten von schätzungsweise 1,8 Milliarden Schweizer Franken – Ergebnisse, die sich auch auf Deutschland übertragen lassen.

Eine App für Ruheinseln

Auch hier arbeiten Forscher an Lösungen. Zum Beispiel mit Hilfe der Lärm-App „Hush City“. Sie soll Daten sammeln und ruhige Zonen in der Stadt für alle identifizieren helfen. Sie wurde von Dr. Antonella Radicchi entwickelt, Lärmforscherin an der Technischen Universität Berlin. Die App soll die Klangqualität öffentlicher Räume verbessern und schädliche Einflüsse der Lärmverschmutzung in Berlin reduzieren – dafür benötigt sie jedoch die Mithilfe vieler App-Nutzerinnen und -Nutzer. „Mit der App können die User entweder ruhige Orte, ‚everyday quiet areas‘, in ihrer eigenen Umgebung markieren oder auch ‚everyday quiet spots‘ identifizieren, die andere User in der Nähe markiert haben“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Die App bietet die Möglichkeit, die Klänge der Umgebung aufzunehmen, sie zu messen, zu fotografieren und Infos zu geben. Mehr unter www.opensourcesoundscapes.org. (red)