Augen, Nase und Ohren

Proteinmangel macht Hörsinn müde

Göttinger Hörforscher sind den Ursachen der Schwerhörigkeit weiter auf der Spur. Studien zufolge scheint das Protein Otoferlin eine zentrale Rolle zu spielen.

01.03.2017

Chronischer Lärm, Alter, Krankheiten oder Gene – es gibt viele Gründe, warum das Gehör nachlassen kann. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass rund 360 Millionen Menschen weltweit von Schwerhörigkeit betroffen sind. Doch noch ist zu wenig über die Funktion des Innenohrs bekannt, um eine Therapie zur Wiederherstellung des Hörvermögens zu entwickeln.
Die Ursachen für eine seltene erbliche Schwerhörigkeit beim Menschen haben jetzt Göttinger Hörforscher aufgedeckt. Betroffene mit dieser ungewöhnlichen Hörstörung können zwar leise Töne fast genauso gut wahrnehmen wie Normalhörende, aber gesprochene Sprache kaum verstehen. Gleichbleibend laute Töne nehmen sie als leiser werdende Töne war. Der Hörsinn wird regelrecht „müde“.

Sinneszellen fehlt Otoferlin

Der Grund für eine solche Hörstörung ist nach neuen Erkenntnissen aus der Göttinger Hörforschung eine beeinträchtigte Signalübertragung von den Sinneszellen des Innenohrs auf den Hörnerv durch einen Mangel an Otoferlin. Die Rolle des Proteins bei diesem wichtigen Signalweg zum Hören haben die Göttinger Wissenschaftler in zwei Studien mit unterschiedlichen Fragestellungen genauer untersucht. Sie fanden heraus: Wenn das Otoferlin selbst verändert ist oder der Einbau des Proteins in die Zellmembran von Sinneszellen gestört ist, dann gelingt Hören nicht mehr gut. Eine verminderte Menge von Otoferlin in der Zellmembran von Sinneszellen führt offensichtlich dazu, dass die Signalübertragung von Sinneszellen des Innenohrs auf den Hörnerv zu schnell ermüdet.
Die für das Hören wichtige Signalübertragung findet an spezialisierten Verbindungstellen zwischen Nervenzellen, den sogenannten Synapsen, statt, die das Protein Otoferlin benötigen. Bei der synaptischen Signalübertragung verschmelzen hunderte Botenstoffbläschen pro Sekunde mit der Zellmembran. Dies erfordert die effiziente Bereitstellung, Fusion und Regenerierung von Botenstoffbläschen.

Gentherapie bei bestimmten Hörproblemen

„Wir verstehen jetzt, warum normale Hörgeräte bei diesen Patienten keine Verbesserung für das Verstehen von Sprache bringen. Und wir haben Ideen, wie man Hörhilfen speziell für diesen Fall entwickeln könnte“, sagt Dr. Nicola Strenzke, Leiterin der Arbeitsgruppe für auditorische Systemphysiologie in der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), die Erst-Autorin einer der Publikationen.
„Je besser wir die Signalübertragung von der Sinneszelle auf die Nervenzelle verstehen, desto näher kommen wir einer Gentherapie bei bestimmten Hörproblemen“, ergänzt Dr. Ellen Reisinger. Sie ist Leiterin der Arbeitsgruppe für Molekularbiologie Cochleärer Neurotransmission der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der UMG und Senior-Autorin einer der Publikationen, die unlängst in der renommierten Fachzeitschrift EMBO Journal erschienen sind. (umg/red)