Allgemeine Medizin

Mehr Einsatz gegen Adipositas gefordert

Keine Krankheit belastet das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem so sehr wie Adipositas – nicht einmal die Corona-Pandemie. Trotzdem ist der Handlungswille der Politik bei der Bekämpfung von starkem Übergewicht laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) bislang eher gering. Sie fordert mit Blick auf die Bundestagswahlen dringend Verbesserung von der neuen Regierung.

24.09.2021

Vor der Sommerpause wurde im Bundestag über einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung beraten, der die Einführung eines strukturierten Behandlungsprogramms Adipositas (Disease-Management-Programme, kurz DMP) vorsieht. Das kann die Versorgung von Menschen mit krankhaftem Übergewicht deutlich verbessern. Allerdings drängt die Zeit: Daher empfiehlt die DDG, bei der Ausgestaltung des neuen DMP Adipositas bestehende Strukturen und Expertisen aus dem DMP für Typ-2-Diabetes zu nutzen. Außerdem müssen in der nächsten Legislaturperiode auch Maßnahmen zur Primärprävention von Übergewicht wie eine gesunde Mehrwertsteuer oder eine verbindliche Ampelkennzeichnung eingeführt werden.

Über 60 Krankheiten stehen im Zusammenhang mit Übergewicht – allen voran Diabetes, aber auch Krankheiten von Herz und Gefäßen, Leber und Lunge, Beschwerden des Bewegungsapparates sowie verschiedene Krebsarten. „Die Adipositas-Welle muss eingedämmt werden, sonst werden wir ganz abgesehen von den individuellen Schicksalen und Problemen auch volkswirtschaftliche Nachteile erleiden“, warnt DDG Präsident Professor Dr. med. Andreas Neu. Denn Adipositas habe dramatische biologische und gesellschaftliche Folgen. „30 Milliarden Euro Kosten entfallen jedes Jahr allein auf Gesundheitsmaßnahmen im Zusammenhang mit Adipositas“, sagt DDG-Vorstandsmitglied Prof. Dr. med. Matthias Blüher. Die indirekten Kosten belaufen sich sogar auf 60 Milliarden jährlich.
Das jetzt geplante DMP Adipositas sei laut DDG ein notwendiger Schritt, um die Versorgung der Menschen mit krankhaftem Übergewicht deutlich zu verbessern und damit auch die Zahl der Neuerkrankungen an Diabetes Typ 2 zu reduzieren. „Viele dachten lange Zeit, man müsse sich doch einfach mehr bewegen und weniger essen“, sagt Blüher. Doch eine Krankheit lasse sich nicht mit Appellen bekämpfen. „Wir müssen verstehen, warum Menschen zu viel essen und sich zu wenig bewegen.“ Um krankmachende Verhaltensmuster aufzubrechen, brauche es ein multimodales Konzept aus Ernährung, Bewegung, Verhaltenstherapie – gegebenenfalls auch einer medikamentösen und chirurgischen Therapie. „Es ist wichtig, dass das künftige DMP Adipositas genau solche Konzepte bei der Versorgung von Menschen mit starkem Übergewicht unterstützt.“ Daher sollten bei der Entwicklung des neuen Behandlungsprogramms etablierte Strukturen und Expertise aus dem DMP Diabetes Typ 2 genutzt werden. Damit bekämen Menschen mit Adipositas Zugang zu einer kontinuierlichen, strukturierten und qualitätsgesicherten Therapie.
Das DMP Adipositas ist ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der 2020 verabschiedeten „Nationalen Diabetes Strategie“. „Unverzichtbar sind aber auch verhältnispräventive Maßnahmen, die sicherstellen, dass Adipositas gar nicht erst auftritt“, sagt DDG Geschäftsführerin Barbara Bitzer: Es bedarf einer verbindlichen Lebensmittelkennzeichnung und eines Verbots von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder und Jugendliche richtet. Schon lange fordert die DDG auch die Einführung einer „Gesunden Mehrwertsteuer“, die gesunde Lebensmittel mit geringem Anteil an Zucker, Fetten und/oder Salz steuerlich entlastet sowie verbindliche Ernährungsstandards für das Essen in Kitas und Schulen.
Diabetes ist bei weitem nicht die einzige drohende Begleiterscheinung von Adipositas. Die WHO hat die Gefahren des massiven Übergewichts in einem Report zusammengefasst. Demnach ist bei adipösen Menschen das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, mehr als dreifach erhöht. In diese Kategorie fallen auch weitere Erkrankungen wie Cholezystolithiasis (Gallenstein-Erkrankung), Dyslipidämie (erhöhte Blutfettwerte), Fettleber und das Schlaf-Apnoe-Syndrom. Adipositas sorgt außerdem für ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Kniegelenk-Arthrose, Gicht und Refluxösophagitis (Entzündung der Speiseröhre durch zurücklaufenden Mageninhalt). Ein immerhin ein- bis zweifach erhöhtes Risiko besteht für Krebserkrankungen und Unfruchtbarkeit.

(dho)