Allgemeine Medizin

Geschlechterunterschiede entschlüsseln

Die Wissenschaft ist sich sicher: Die Entstehung von Krankheiten ist auch eine Frage des Geschlechts. Das bedeutet aber auch: Eine Vorsorge und eine Therapie für alle kann es nicht geben.

22.09.2018
Gene, Hormone und der Lebensstil machen bei Männern und Frauen den Unterschied.  Foto: Adobestock / drubig foto Gene, Hormone und der Lebensstil machen bei Männern und Frauen den Unterschied. Foto: Adobestock / drubig foto

Ratgeber, die sich mit dem kleinen, feinen Unterschied zwischen Mann und Frau beschäftigen, füllen ganze Buchregale. Denn gerade in Bezug auf die Psyche und die Wahrnehmung von Gesagtem und Erlebtem gibt es zwischen den Geschlechtern erhebliche Unterschiede. Aber auch in Sachen Gesundheit spielen eine andere Physiognomie und ein anderer Hormonhaushalt eine Rolle. Eine Tatsache, die sich im medizinischen Alltag noch zu wenig niederschlägt.

Biologie des Alterns

Die Studie „GendAge“ soll diese Lücke nun schließen, um Krankheiten besser verstehen zu können und passende Therapien zu entwickeln. „Es hat sich gezeigt, dass bestehende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung bei Männern und Frauen nicht immer gleichermaßen wirksam sind. Hierfür sind geschlechtsspezifische Unterschiede ebenso verantwortlich wie der persönliche Lebensstil. Hinzu kommen auch unterschiedliche Bedarfe und Bedürfnisse bei der Gesundheitsversorgung“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Ilja Demuth von der Arbeitsgruppe Biologie des Alterns. Er hat die Studie in Kooperation mit dem Institut für Geschlechterforschung in der Medizin der Charité und dem Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt.
Ziel ist es, ein neues Maß für das soziale Geschlecht, einen sogenannten Gender Score, zu entwickeln, insbesondere in Bezug auf kardiovaskuläre Risikofaktoren und Krankheiten. Dieser soll deutlich über die traditionellen Männer-Frauen-Stereotype hinausgehen.

Andere Lebenserwartung

Fest steht bisher: Es gibt deutliche Geschlechterunterschiede in Bezug auf Lebenserwartung und Krankheitsgeschehen. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2016 leben Männer im Durchschnitt rund fünf Jahre weniger als Frauen (78 vs. 83 Jahre für neugeborene Mädchen und Jungen). Gründe sind laut Bundesministerium für Forschung und Gesundheit vor allem Unfälle, Suizide und Erkrankungen wie Herzinfarkt, Lungenkrebs und Leberzirrhose. Beim Krankheitsgeschehen finden sich Unterschiede mal zum Nachteil der Männer, mal zuungunsten der Frauen. So erkranken Männer nach Angaben des Robert-Koch-Instituts beispielsweise früher als Frauen an der koronaren Herzkrankheit. Demgegenüber werden Frauen häufiger aufgrund psychischer Erkrankungen behandelt oder berentet als Männer.

Lebensstil entscheidet mit

Jedoch erklären biologische Faktoren die Geschlechterunterschiede in Gesundheits- und Lebenserwartung nicht alleine. Zudem sind psychosoziale Aspekte dafür verantwortlich. So gehen Frauen etwa häufiger zu Vorsorgeuntersuchungen als Männer und pflegen tendenziell einen gesünderen Lebensstil.
Auch gibt es bei den Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Lebensdauer relevante Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Wie eine Studie an mehr als 11.000 Nonnen und Mönchen zeigt, gleicht sich die Lebenserwartung von Männern und Frauen an, wenn diese unter ähnlichen Bedingungen leben und arbeiten.

Weitere Daten analysieren

In der GendAge-Studie werden die Probanden der Berliner Altersstudie (BASE-II) von 2010 bis 2014 jetzt erneut untersucht, sodass erstmals medizinische Verlaufsdaten der Studienteilnehmer vorliegen werden. Anhand dieser Daten werden in GendAge Effekte analysiert, die vom biologischen und vom sozialen Geschlecht abhängen.
Das Verbundprojekt „GendAge – Geschlechtssensitive Vorbeugung kardiovaskulärer und metabolischer Krankheiten bei älteren Erwachsenen in Deutschland“ wird von der Charité koordiniert und gemeinsam mit der Humboldt-Universität zu Berlin umgesetzt. Das Projekt wird vom BMBF im Rahmen der Förderinitiative „Gesund – ein Leben lang“ für vier Jahre mit insgesamt 1,2 Millionen Euro gefördert.(bibi)