Frauen- und Männergesundheit

Hodenkrebs: Neue Therapieleitlinie

Dieser Krebs trifft vor allem junge Männer, die zu selten zur Vorsorge gehen. Nun gibt es erstmals eine offizielle Richtlinie für die Behandlung. Das hat viele Vorteile.

14.10.2019
Foto: Alexander Sell

Dr. Clara Park
Radiologin
RNS Gemeinschaftspraxis
Wiesbaden



Mit jährlich rund 4000 Neuerkrankungen sind Tumoren des Hodens die häufigste Krebserkrankung bei Männern zwischen 20 und 44 Jahren. Ist der Krebs noch nicht weit fortgeschritten, ist er zu 95 Prozent heilbar. Prof. Sabine Kliesch, Chefärztin des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster (UKM) und Koordinatorin der Behandlungsleitlinie, sagt, was es zu beachten gibt.

Frau Prof. Kliesch, was bringt eine Leitlinie zur Behandlung von Hodenkrebs, wenn dieser doch jetzt schon recht gut behandelbar ist?
Bisher gab es keine deutschsprachige Leitlinie. In Deutschland gab es bisher nur Konsensus-Empfehlungen. Also Standards, auf die man sich in der Therapie geeinigt hat, ohne dass sie allerdings verbindlich waren oder irgendwo festgeschrieben standen. Eine Leitlinie ist ein formalisierter Prozess, an dem alle Fachgesellschaften, die mit Hodenkrebs-Patienten zu tun haben, gemeinsam gefragt sind, um den besten Stand des Wissens in Behandlungsgrundsätzen zu formulieren.

Was hat der Patient davon? Braucht er jetzt beispielsweise noch eine Zweitmeinung, wenn doch überall die Behandlung dieselbe ist?
Ja, vielleicht gerade! Die Leitlinie formuliert auch, welche Patienten besonders von einer Zweitmeinung profitieren. Schon vorher haben wir mit der interdisziplinären Arbeitsgruppe Hodentumoren ein richtig gutes Zweitmeinungsportal für Patienten errichtet. Das greift bereits ganz am Anfang, bei der Diagnosestellung. Da sollte man über das Portal direkt eine Zweitmeinung einholen, um dann – auch gerade bei den niedrigen Stadien – die richtigen Schritte zu gehen und die Patienten nicht unnötig zu therapieren. Aber natürlich auch, um nichts zu verpassen, denn: Der Hodentumor ist eine seltene Erkrankung. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Urologe einen Hodentumor sieht, ist für ihn nicht täglich Brot, sondern da kommt vielleicht ein neuer Patient pro Monat. Auch wenn es die häufigste Krebserkrankung des jungen Mannes ist, bei rund 4000 Neuerkrankungen im Jahr ist es deutschlandweit in der Summe selten. Daher ist es wichtig, dass man als Patient die Therapie über eine Zweitmeinung absichert.

Hodenkrebs ist selten – hat aber auch eine sehr gute Prognose …
Eine exzellente – und bei ungefähr 80 Prozent der Patienten trifft die gute Prognose zu –, wenn man die richtigen diagnostischen und therapeutischen Schritte geht. Wenn am Anfang der Diagnosestellung Fehler passieren, dann sind diese fast nicht mehr zu korrigieren, insbesondere bei den fortgeschrittenen Stadien. Es ist wichtig, dass da nichts verpasst wird. Allein dafür lohnt sich der Blick in die Leitlinie, um zu wissen, was am Anfang gemacht werden muss und um für die weitere Steuerung der Therapie die richtigen Schritte zu gehen. Und ein Wort noch zu den übrigen 20 Prozent der Fälle, in denen der Hodenkrebs schon weit fortgeschritten ist: Neben den Behandlungsempfehlungen gibt die Leitlinie hier auch ganz klar vor, dass man sich in solchen Fällen an die großen Zentren wenden sollte, die Erfahrung mit dem Krankheitsbild haben.

Die Leitlinie soll Über-, aber auch Unterbehandlung verhindern. Wurde Hodenkrebs in der Vergangenheit tendenziell also überbehandelt?
Ja, tendenziell. Aus einem gewissen Sicherheitsbedürfnis heraus. Bei einem ganz jungen Patienten, der da in der Regel vor einem sitzt, ist man eher geneigt, auf Nummer sicher zu gehen und nichts zu verpassen. Dann geht man vielleicht schon mal großzügiger mit der Chemotherapie um, als es unbedingt erforderlich ist und die aktuelle Studienlage anzeigt. Von daher ist es ein ganz wichtiger Auftrag der Leitlinienarbeit, für Klarheit und Sicherheit zu sorgen: So kann man auch bei frühen Stadien, in denen es noch keine Wanderung von Tumorzellen gibt, auf eine engmaschige Überwachung setzen und muss nicht sofort eine radikale Sicherheitstherapie machen.

Ist die Leitlinie damit auch fruchtbarkeitserhaltend?
Zumindest stellt sie die Fertilität und die Aspekte, die damit verknüpft sind, ganz klar in den Vordergrund der Beratung. Eine bösartige Erkrankung muss entsprechend behandelt werden. Bei jungen Männern muss man aber gleichzeitig an die Kryokonservierung von Spermien denken, also das Einfrieren von Samenzellen, um einen späteren Kinderwunsch möglich zu machen. Diese Maßnahme wird nach der aktuellen Gesetzesänderung zukünftig in den Leistungskatalog der Krankenkassen auch bei Hodenkrebs-Patienten aufgenommen. (UKM/aw)

Hodenkrebs: Risiken & Therapie

Welche Risikofaktoren gibt es?
Wenn man als Kind mal einen Hodenhochstand hatte, bleibt lebenslang ein höheres Risiko für Hodenkrebs bestehen. Auch wenn jemand in der Familie Hodenkrebs hatte oder zeugungsunfähig ist, ist er eher gefährdet, diesen Tumor zu bekommen.

Wie behandelt man Hodenkrebs?
Zuerst per OP. Hat der Tumor gestreut, was nur bei 20 Prozent der Betroffenen der Fall ist, folgen Bestrahlung und Chemotherapie. Kurz nach der Chemo ist man erst einmal zeugungsunfähig. Nach drei, vier Jahren erholt sich die Fertilität. Zwei Drittel bleiben jedoch beeinträchtigt.

Ist eine Hodenprothese sinnvoll?
Sie bleibt ein Fremdkörper. Das Gefühl ist hinterher anders. Deshalb nicht übereilt handeln. Die Entscheidung kann man auch später noch treffen.