Frauen- und Männergesundheit

Frauen werden anders krank

Frauen ticken anders als Männer. Nicht nur im Kopf. Auch Krankheiten äußern sich bei ihnen auf andere Art. Experten erklären den Unterschied bei der Gesundheit des weiblichen Geschlechts.

04.08.2016
Foto: Alexander Sell

Dr. Clara Park
Radiologin
RNS Gemeinschaftspraxis
Wiesbaden



Ein Blick in die Statistik verrät, dass Frauen von vielen Krankheiten häufiger heimgesucht werden als Männer. Ob Osteoporose, Rheuma oder Schilddrüsenstörungen, Rückenschmerzen, Migräne oder Depressionen – überall liegen Frauen in Führung. Doch nicht nur das: Viele dieser Krankheiten zeigen sich bei ihnen auch anders, haben andere Symptome oder eine andere Qualität.

Rolle der Gene und Hormone

Lange rätselten die Wissenschaftler, warum das so ist. Fest steht: Frauen gehen 30 Prozent häufiger zum Arzt. Gender-Mediziner, die sich auf den Unterschied der Geschlechter spezialisiert haben, wissen aber auch, dass Frauen genetisch und hormonell aus einem anderen Holz geschnitzt sind. „Auf dem X-Chromosom liegen ungefähr 1.500 Gene, die eine wichtige Funktion für Herz und Kreislauf, Hirnfunktion und Immunsystem haben. Dieses Chromosom haben Frauen doppelt, das zweite Exemplar dient wahrscheinlich als Reservepool“, weiß Dr. rer. nat. Carola Schubert, stellvertretende Direktorin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin an der Berliner Charité. „Auf dem Y-Chromosom der Männer liegen nur 78 Gene. Frauen haben hier einen biologischen Vorteil.“ Schon in der Kindheit fängt es an: Jungs sind zappeliger, Mädchen lernen besser. Dafür sind sie anfälliger für Essstörungen und Depressionen. Schon ab dem 11. Lebensjahr haben sie ein doppelt so hohes Risiko für Depressionen und ein siebenfaches für Magersucht. „Die Forschung geht heute davon aus, dass Mädchen und Frauen einen anderen Hirnstoffwechsel haben als Jungen bzw. Männer“, erklärt die Expertin. „So reagieren ihre Botenstoffe tatsächlich unterschiedlich auf Stress- oder Sexualhormone.“ Vor allem die Reaktionen von Frauen auf Stress sind genetisch bedingt. Sie leiden häufiger unter Angsterkrankungen, welche Depressionen fördern. Männer kompensieren Ängste eher mit Aggressionen oder Suchterkrankungen.

Östrogen ist Segen und Fluch

Ab der Pubertät kommen dann die Hormone mit ins Spiel, lösen beim prämenstruellen Syndrom Heulattacken und nach der Geburt mitunter Babyblues – eine leichte Form der Depression – aus. Auch häufen sich hormonell bedingte Kopfschmerzen und Migräne. Zum anderen bietet das weibliche Hormon Östrogen den Frauen einen gewissen Schutz. So sind etwa Knochen, Herz und Gefäße unter seinem Einfluss vor Osteoporose, Herzinfarkt oder Schlaganfall zunächst sicherer als bei Männern. Der biologische Hintergrund: „In den Zellen gibt es Andockstellen für das weibliche Sexualhormon. Dort soll es die Gefäße von Ablagerungen schützen“, weiß Dr. Schubert. Doch in den Wechseljahren versiegt die Östrogenproduktion in den Eierstöcken zum größten Teil und der einstige Segen wird zum Fluch: Nicht nur dass Frauen ab 50 in vielen vermeintlichen Männerkrankheiten wie dem Herzinfarkt aufholen.

Haut wird trockener

Der Körper entzieht durch den plötzlichen Mangel vielen Organen seine Gunst. Das Bindegewebe wird schwächer, die Haut trocken, die Knochen entkalken und die Anzahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle nimmt zu. Leider steigt nach den Wechseljahren auch das Brustkrebsrisiko. Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen generell ein größeres Schmerzempfinden haben. Vor allem Frauen im gebärfähigen Alter haben eine niedrigere Schmerz- und Toleranzschwelle als Männer. „Besonders bei Hitze, Strom oder mechanischen Reizen reagieren sie empfindlicher. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Schmerzempfindlichkeit innerhalb des weiblichen Monatszyklus‘ verändert“, sagt Prof. Wolfgang Koppert, Präsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes. „Das legt die Vermutung nahe, dass auch dafür die Hormonlage mitentscheidend ist.“ Auch sind sie wegen ihrer genetisch festgelegten Rolle als Mutter und Wächterin des Nachwuchses häufiger von Schlafstörungen betroffen als Männer. Experten fordern wegen dieser vielen Unterschiede immer wieder, die Medizin besser auf die Bedürfnisse der Frauen zuzuschneiden. Tatsache ist jedoch, dass die meisten Medikamente an Männern getestet werden. Solange das so ist, müssen Frauen auf der Hut sein, sich gut informieren und Stress und Hormone im Blick behalten. Dann können sie ihre Männer statistisch gesehen tatsächlich überleben – um ganze sieben Jahre! (bl)