Alters- und Palliativmedizin

Echte Selbstbestimmung statt Suizid

Im Februar wurde der Paragraf 217 (StGB) gekippt. Damit können Ärzte legal beim Suizid auf Verlangen assistieren. Doch Palliativmediziner können diesen Wunsch der Patienten auch auflösen.

17.10.2020
Foto: AdobeStock/nenetus Foto: AdobeStock/nenetus

Herbert Ritter* aus Eschwege wusste, was auf ihn zukommt. Seit seiner Diagnose ALS war klar, dass sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechtern würde und am Ende all seiner Leiden, der Tod wartet. „Irgendwann werde ich nicht mehr atmen können. Davor habe ich Angst“, erzählte er seinem Arzt. Und auch, dass er deshalb an Selbstmord denke. Immer wieder fragte der 74-Jährige, ob er ihm nicht etwas verschreiben könnte, das ihn erlöst. Aber das konnte der Mediziner nicht. Der Paragraf 217 (StGB) untersagte ihm die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“.
Am 13. August 2019 nahm sich der Rentner das Leben. Seine Frau fand ihn tot in der Garage. Der Motor des Autos lief noch. Ein Anblick, den sie nie mehr vergessen wird.

Traumatisierte Angehörige

„Für Partner oder Kinder ist der Selbstmord eines Angehörigen ein Schock, manchmal sogar ein Trauma“, berichtet Matthias Thöns, Facharzt für Anästhesiologie, Notfall-, Schmerz- und Palliativmedizin aus Witten auf dem Schmerz- und Palliativtag 2020. Er fand sich selbst einmal wegen eines Anfangsverdachts der Verletzung des § 217 vor Gericht wieder. Deshalb, aber auch aus Überzeugung, hatte er vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Paragrafen geklagt – und im Februar dieses Jahres einen Sieg errungen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben, der Eingriff in dieses Recht durch § 217 StGB sei nicht gerechtfertigt, urteilten die Verfassungsrichter. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, schließe auch die Möglichkeit, Hilfe dafür in Anspruch zu nehmen, ein.

Suizid verhindern

Das bedeutet laut Thöns aber nicht, dass jetzt jeder Arzt tun und lassen könne, was er wolle. Auch um Scharlatanen das Handwerk zu legen, die mit dem Tod anderer Geld verdienen wollen, müsse ein prozedurales Sicherheitskonzept her. Schon jetzt gelte in der Palliativmedizin das Vier- beziehungsweise Sechs-Augen-Prinzip. Interessant: „In vier von fünf Fällen führt allein die Möglichkeit einer assistierten Selbsttötung dazu, dass diese nicht begangen wird“, so der Mediziner. Deshalb sollte man vielmehr die Palliativversorgung in Deutschland weiter ausbauen. Sie könne Betroffene und deren Angehörige im Falle einer schweren, unheilbaren Erkrankung entlasten. Indem sie die Leiden des Patienten lindere und die Autonomie bis zum Schluss bewahre, könne sie meist die häufigsten Gründe für einen Suizidwunsch ausräumen, so der Experte.
Wer sich den selbstbestimmten Tod aus Liebeskummer, Geldnot, Trauer oder Einsamkeit wünsche, bräuchte jedoch vielmehr therapeutische Hilfe, sagt Thöns. Auch hier sei es Aufgabe des Palliativmediziners, entsprechende Beratung zu leisten und Orientierung zu geben. (bibi)

*Name von der Redaktion geändert.