Allgemeine Medizin

Lymphdrainage bei Akne und Ödemen

Die manuelle Entstauungsmethode ist bei medizinischen und kosmetischen Problemen sehr effektiv. Oft aber müssen Patienten gezielt nachfragen.

10.11.2016

Ob „Stehender Kreis“, „Pumpgriff“, „Schröpf- oder Drehgriff“ – diese Bezeichnungen klingen zwar etwas martialisch, stehen aber für spezielle, völlig harmlose Massagetechniken der manuellen Lymphdrainage. Das Prinzip der von dem dänischen Physiotherapeuten Emil Vodder (1896-1986) entwickelten Massagetechnik besteht darin, mittels sanfter Massage die Stauungen von Lymphflüssigkeit in Gewebe und Lymphknoten zu beseitigen. Anders als klassische Massagetechniken darf die Lymphdrainage nie schmerzen. Auch soll sie keinen durchblutungsfördernden Effekt haben. Die Wirkungsweise der Lymphdrainage, die heutzutage sowohl in der Kosmetik als auch in der Medizin genutzt wird, ist wissenschaftlich bewiesen.

Allergien, Narben, Akne

Doch bevor man in den 1960er Jahren die Therapie entdeckte und begann, sie für medizinische Zwecke zu nutzen, wurde sie ausschließlich in der Kosmetik angewandt. Dort gibt es nach wie vor zahlreiche Einsatzmöglichkeiten, erläutert Renate Raptis, Lehrerin für manuelle Lymphdrainage an der Anna-Hermann-Schule, Berufsfachschule für Kosmetik in Kerpen bei Köln. „Das Besondere ist, dass ich immer mehrere Wirkungen auf einmal habe.“ So wirke die Lymphdrainage zum Beispiel stärkend auf das Immunsystem und beuge damit Krankheiten vor. Auch in der dermatologischen Kosmetik wird sie eingesetzt: Empfindliche, problematische Haut mit Neigung zu Allergien werde durch sie gestärkt. Lymphdrainage könne auch bei der Neigung zu Tränensäcken, schweren Beinen und Narben helfen, weiß Raptis. Außerdem wirke die Lymphdrainage auf das vegetative Nervensystem. „Dadurch tritt eine allgemeine Beruhigung ein.“ Besonders erfolgreich ist die Anwendung bei Akne. „Mithilfe der Lymphdrainage können Bakterien, Zelltrümmer und Talg, die durch geplatzte Mitesser ins umliegende Gewebe gelangt sind, über die Lymphe abtransportiert werden“, sagt die Kölner Dozentin. Dies beuge Entzündungen vor. Die Symptome würden deutlich verbessert und die Narbenbildung verringert. Auch bei Cellulite werde die Massagetechnik eingesetzt, wobei Frauen hier freilich keine Wunder erwarten dürften. Raptis: „Cellulite lässt sich nicht ‚weglymphen‘, aber man kann bewirken, dass sie nicht schlimmer wird.“

Lymphödeme und Wunden lindern

Ein weiterer Zweig, in dem man Lymphdrainage heute anwendet, ist die ästhetisch-plastische Chirurgie. Wenn bei Schönheitsoperationen Lymphgefäße durchtrennt werden, könne sich ein Ödem bilden. Das kann die Wundheilung verzögern und große Narben verursachen. „Die manuelle Lymphdrainage wirkt diesem Prozess entgegen“, erklärt Raptis. Dieser Fall überschneidet sich mit der medizinischen Anwendung: Dort wird die Lymphdrainage vor allem zur Behandlung von Lymphödemen eingesetzt. Diese können durch eine angeborene Schwäche der Lymphgefäße bedingt sein, aber auch durch Operationen oder Verletzungen entstehen, bei denen die Lymphbahnen unterbrochen werden. Bei Brustkrebsoperationen kommt es besonders häufig zu Armlymphödemen, weil den Patientinnen ein Teil der Achsellymphknoten entfernt wird. Bei chronischen Lymphödemen eignet sich die manuelle Lymphdrainage allein indes nicht. Sinnvoll sei sie hier nur als Bestandteil der „Komplexen physikalischen Entstauungstherapie“ (KPE), sagt Oliver Gültig, Physiotherapeut und Geschäftsführer eines Weiterbildungs-Anbieters in Aschaffenburg. „Der Effekt der Lymphdrainage ist nach ein bis zwei Tagen vorbei.“ Um einen Langzeiteffekt zu erreichen, müssten alle vier Säulen der KPE kombiniert werden: Lymphdrainage, Kompressionsverbände (Stützstrumpfe), Hautpflege sowie Bewegungstherapie. Doch daran hapere es leider häufig.

KPE auch bei Wundheilungsstörungen wirksam

Auch in einem anderen Bereich sieht Gültig Nachholbedarf: So sei die KPE extrem wirksam bei Wundheilungsstörungen, wie sie beispielsweise bei chronisch offenen Beinen, Verbrennungen oder Diabetes auftreten. Leider sei das oft unbekannt. „Wenn man sie hier in der Frühphase anwenden würde, könnte man vermeiden, dass Patienten über Monate offene Wunden haben“, sagt er. Ein Grund für die seltene Anwendung sei aber auch, dass die Lymphologie nicht Bestandteil der universitären Ausbildung sei, sondern nur über Weiterbildungen vermittelt werde, so Renate Raptis. Deshalb sollten Patienten ihren Arzt gezielt nach dieser Therapieoption fragen, rät die Expertin. (os)