Kinder und Familie

Musiktherapie für Frühchen

Zu früh geborene Kinder haben ein hohes Risiko für Hirnschäden. Eine Studie zeigt nun, dass Kreative Musiktherapie die Hirnentwicklung der Kinder fördert und einen schützenden Effekt hat.

30.09.2020
Im Brutkasten fehlt der beruhigende Herzschlag der Mutter.  Foto: AdobeStock/Brocreative Im Brutkasten fehlt der beruhigende Herzschlag der Mutter. Foto: AdobeStock/Brocreative

Die Gehirne von Kindern, die lange vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt kommen, sind noch nicht ausgereift und deshalb anfällig für bleibende neurologische Schäden. Die Schädigungen können kognitive und psychische Beeinträchtigungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Bewegungsstörungen zur Folge haben. Diese bleiben über die Kindheit hinaus bis ins Jugend- und Erwachsenenalter bestehen. Hinzu kommt, dass die Kinder in einer Frühchen-Intensivstation mit Licht, Geräuschen und auch Schmerzen unvermeidlich einem gewissen Stress ausgesetzt sind – und der beruhigende Herzschlag der Mutter fehlt ebenso plötzlich wie deren schützende Umgebung.

Beruhigung und Bindung

Aus Studien an Mensch und Tier ist bekannt, dass positive Hörerlebnisse die Entwicklung des Gehirns fördern und das Hören von Musik neurobiologische Prozesse, neurologisches Lernen und die Aktivität und Bildung der Synapsen unterstützt. Frühere Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass die Kreative Musiktherapie (creative music therapy, CMT) bei frühgeborenen Kindern einen positiven Einfluss auf Störungen und damit Schädigungen in der Gehirnentwicklung haben kann. Dabei nehmen speziell ausgebildete Therapeutinnen das Atemmuster und physische Anzeichen etwa von Schmerz oder Unruhe der Kinder auf und unterstützen die Kinder durch Singen und Summen im Wiegenliederstil dabei, sich selbst zu regulieren. Wenn möglich werden auch die Eltern in die Therapie einbezogen und zum eigenen Singen angeleitet; so kann sie z. B. während des „Känguru“ im Hautkontakt mit Vater oder Mutter durchgeführt werden, um die Bindung zu unterstützen.
Die Therapie bewirkt augenscheinlich bei den Kindern eine merkliche Entspannung, was sich in der Atemfrequenz, aber auch an Gesten oder am Gesichtsausdruck zeigt. Die körperliche Nähe zu Mutter und Vater verstärkt die positiven Effekte der Therapie. Zusätzlich ebben die häufig vorhandenen Ängste der Eltern ab, was sich auf die Kinder weiter beruhigend auswirkt.

Untersuchungen im Schlaf

Die Musikwissenschaftlerin und Pionierin der Kreativen Musiktherapie in der Neonatologie Friederike Haslbeck konnte nun in einer Studie die Entwicklung und Veränderungen der Gehirne frühgeborener Kinder unter der Musiktherapie untersuchen. Mit dabei waren ein Team in der Klinik für Neonatologie am Universitätsspital Zürich und am Universitäts-Kinderspital Zürich.
Um die Kinder maximal zu schonen, wurde für die Untersuchung die Diffusionsgewichtete Magnetresonanztomografie (DTI), speziell für die Untersuchung am Gehirn eingesetzt. Das Verfahren erlaubt Rückschlüsse auf den Verlauf der großen Nervenfaserbündel. Wie die bekanntere Magnetresonanztomografie (MRT), ist die DTI nichtinvasiv, sie erfordert weder eine Injektion von Kontrastmitteln noch den Einsatz von ionisierender Strahlung.
In die Studie konnten 82 Kinder aufgenommen werden, die Hälfte von ihnen erhielt zusätzlich zur üblichen Therapie zwei- bis dreimal wöchentlich Musiktherapie während ca. 20 Minuten. Jedes Kind nach einem individuell erstellten Therapieplan. Die Aufenthaltsdauer der Kinder im Krankenhaus betrug 3 bis 10 Wochen, die Zahl der Therapieeinheiten 8 bis 30. Die Untersuchung wurde jeweils während des natürlichen Schlafes gemacht. Um die Kinder nicht zu stören, bekamen sie zudem einen Gehörschutz.

Sichtbare Effekte im Gehirn

Die Auswertung der Daten zeigte wenig Einfluss der Musiktherapie auf die grundlegenden Strukturen des Gehirns. „Bei den Kindern mit Musiktherapie stellten wir jedoch eine signifikant geringere Verzögerung in den Funktionsprozessen zwischen Thalamus und Hirnrinde, stärkere funktionale Netzwerke und ein verbessertes Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen, unter anderem in den für die Motorik und Sprache relevanten Bereichen fest“, fasst Friederike Haslbeck die Ergebnisse zusammen. „Damit konnten wir zum ersten Mal auch mit Bildgebung einen positiven und damit schützenden Effekt der Musiktherapie auf die Hirnentwicklung nachweisen.“ In einer groß angelegten Folgestudie in mehreren Neonatologien der Schweiz will Friederike Haslbeck nun untersuchen, ob sich die Musiktherapie auch längerfristig positiv auf die Entwicklung der frühgeborenen Kinder auswirkt. (red)