Gehirn, Psyche und Verhalten

Die Psyche geht buchstäblich ans Herz

Psychische Erkrankungen und Belastungen wirken sich nicht nur auf das Wohlbefinden aus. Sie führen auch zu handfesten physischen Problemen wie Herzerkrankungen. Der aktuelle DAK-Gesundheitsreport mit dem Titel „Risiko Psyche: Wie Depressionen, Ängste und Stress das Herz belasten“ zeigt einen besorgniserregenden Trend in diesem Zusammenspiel und im Umgang damit auf.

22.06.2022
Depressionen, Ängste und Stress sind  wesentliche  Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.  Foto: AdobeStock/Photographee.eu Depressionen, Ängste und Stress sind wesentliche Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Foto: AdobeStock/Photographee.eu

Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören in Deutschland zu den häufigsten Todesursachen. Rund 340.000 Menschen sterben jedes Jahr daran. Einer der größten Risikofaktoren ist die Psyche. Das wird in der heutigen Arbeitswelt zum echten Problem, da psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch sind. Laut dem DAK-Gesundheitsreport 2022 haben 8,6 Millionen Erwerbstätige ein erhöhtes Herzinfarkt-Risiko durch eine psychische Erkrankung oder arbeitsbedingten Stress. Das ist in fast ein Fünftel. „Seit Jahren steigen die Fehlzeiten der Erwerbstätigen wegen psychischer Erkrankungen. Angesichts dieser Höchststände, die wir insbesondere während der Pandemie sahen, müssen wir wachsam sein“, sagt Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit. „Depressionen, Ängste und negativer Stress sind bereits für sich genommen eine große Belastung. Sie gehen aber auch buchstäblich ans Herz.“
Besonders gefährlich ist die Situation, da das Herzrisiko Psyche oft auf weitere klassische Risiken wie Rauchen und Übergewicht trifft. Für den Gesundheitsreport wurden durch das Forsa-Institut 7100 erwerbstätige Frauen und Männer befragt. Unter dem Fünftel mit psychischen Problemen gaben 32,6 Prozent an, Übergewicht zu haben, und 30,5 Prozent rauchen. Unter den Beschäftigten ohne psychisches Risiko ist der Anteil an Menschen mit starkem Übergewicht übrigens deutlich geringer (22,6 Prozent) und nur ein Fünftel von ihnen raucht. Erwerbstätige mit Depressionen sind zudem öfter in ärztlicher Behandlung wegen der koronaren Herzkrankheit, bei der sich die Herzkranzgefäße langsam verschließen und auch schon im mittleren Lebensalter ein akuter Herzinfarkt auftreten kann.
Nicht nur Menschen mit einer Depression oder einer Angststörung haben ein erhöhtes Herzrisiko. Auch Frauen und Männer mit Arbeitsstress sind betroffen. Laut Studie leiden neun Prozent der Beschäftigten unter herzgefährdendem Arbeitsstress im Sinne einer Gratifikationskrise. Damit ist ein Ungleichgewicht zwischen Verausgabung und Belohnung am Arbeitsplatz gemeint. Dieser Arbeitsstress betrifft Menschen, die viel Leistung bringen oder dies zumindest so sehen und gleichzeitig wenig Wertschätzung erfahren. Er ist vor allem unter Erwerbstätigen mit einem mittleren Berufsabschluss (10,5 Prozent) verbreitet, diejenigen mit einem Uniabschluss sind nur halb so oft betroffen (5,1 Prozent).
Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen im Durchschnitt 60 Fehltage je 100 Versicherte – bei den Männern mehr, bei den Frauen weniger. Mit dem Alter steigt die Anzahl der Fehltage deutlich an. 45- bis 49-jährige Männer haben je 100 Versicherte 67 Tage, bei ihren zehn Jahre älteren Kollegen sind es 184 Tage – fast dreimal so viele.
Die Ergebnisse des DAK-Gesundheitsreports werden von einem der renommiertesten Experten auf diesem Gebiet, Prof. Dr. med. Christoph Herrmann-Lingen Leiter der Klinik für Psychosomatische Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen mit Forschungsschwerpunkt in der Psychokardiologie, bestätigt. „Zum einen ist es so, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen häufiger Herzprobleme entwickeln. Zum anderen sehen wir bei vielen Herz-Kreislauf-Patienten in der Folge eine psychische Erkrankung“, sagt der Mediziner. „Es ist nicht nur so, dass durch psychische Risiken die Grundlagen für eine künftige Sterblichkeit gelegt werden. Wir sind mit der Auswirkung von psychokardiologischen Themen bereits im Erwerbsleben konfrontiert. Es werden Menschen auch im Alter von 50 bis 60 Jahren schon krank, die dann eine deutlich eingeschränkte Lebensqualität haben und am Arbeitsplatz fehlen.“
Umso wichtiger ist daher Präventionsarbeit. Doch die haben viele Menschen laut dem Report gar nicht auf dem Schirm. So bieten Krankenkassen Erwerbstätigen vielfältige Kurse an, um die Gesundheit zu stärken und Krankheiten vorzubeugen. Über diese Präventionskurse sind allerdings nur 60 Prozent der Beschäftigten informiert. Bei der medizinischen Früherkennung ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Gesundheitsuntersuchung in der ärztlichen Praxis, auch Check-up genannt, ist ab 35 Jahren alle drei Jahre kostenlos. Mehr als einem Drittel der Erwerbstätigen in diesem Alter ist sie unbekannt und nur knapp die Hälfte nutzt sie.

(dho)