Gehirn, Psyche und Verhalten

Depression: Nicht nur psychische Ursachen

Depressionen gehören sowohl zu den häufigsten als auch zu den am meisten unterschätzten Erkrankungen. Frauen sind etwa doppelt so häufig von einer Depression betroffen als Männer. Unzureichend behandelt, sind Depressionen die häufigsten Auslöser für Suizide. Eine Analyse der Volkskrankheit.

08.09.2022
Eine Depression muss behandelt werden.  Foto: AdobeStock/Nithid Sanbundit Eine Depression muss behandelt werden. Foto: AdobeStock/Nithid Sanbundit

Traurigkeit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit gehören zum Leben ebenso dazu wie Freude. Nach einem Trauerfall, bei der Diagnose einer schweren Krankheit, bei familiären Problemen oder dem Verlust des Arbeitsplatzes ist es die normale Reaktion, zu weinen, zu trauern, sich eine Zeitlang zurückzuziehen. Aber irgendwann muss die Sonne wieder scheinen, müssen Pläne gemacht oder Lösungsmöglichkeiten entworfen werden, damit es wieder aufwärts gehen kann.
Patienten, die an einer Depression leiden, können das nicht. Zu einer gedrückten Grundstimmung kommen meist Antriebsstörungen – die Patienten fühlen sich erschöpft und sind meist nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Dazu kommen Konzentrationsstörungen, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle. Oft kommen Schlafstörungen und Appetitmangel dazu, der häufig auch zu Gewichtsverlust führt. Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, der Verlust des Interesses an Dingen und Themen, mit denen man sich früher gern beschäftigt hat, und der Verlust der Fähigkeit, Freude zu empfinden, sind Anzeichen einer Depression. Viele Erkrankte entwickeln diffuse Ängste und sind ständig angespannt. Zudem kommen häufig auch noch körperliche Beschwerden wie Magen-, Kopf- und Rückenschmerzen hinzu. Zahlreiche Patienten, die an einer Depression erkrankt sind, haben Suizidgedanken oder führen den Suizid tatsächlich auch aus.
Fünf Millionen Betroffene in Deutschland
Depressionen gehören zu den häufigsten und

hinsichtlich ihrer Schwere – auch zu den am meisten unterschätzten Erkrankungen überhaupt. In Deutschland sind rund 11 Prozent der Frauen und 5 Prozent der Männer betroffen – das heißt, dass Frauen etwa doppelt so häufig erkrankt sind wie Männer. Insgesamt geht es um über fünf Millionen Patienten in Deutschland, wie die Stiftung Deutsche Depressionshilfe informiert.
Wird die Depression nicht oder nur unzureichend behandelt, kann das schwerwiegende Folgen haben: Etwa 90 Prozent der festgestellten Suizide wurden vor dem Hintergrund einer psychiatrischen Erkrankung, und davon am häufigsten einer nicht ausreichend behandelten Depression, begangen.
Zum Vergleich: Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 9.206 Suizide registriert. Das sind weitaus mehr Sterbefälle als bei Verkehrsunfällen (3.373), durch Drogen (1.398) oder durch AIDS (285), so das Statistische Bundesamt.
Veranlagung ist entscheidend
Ob ein Mensch an einer Depression erkrankt oder nicht, liegt an seiner Veranlagung dazu. Sie kann genetisch bedingt oder auch – beispielsweise durch traumatische Kindheitserlebnisse – erworben sein. Nicht selten wird eine Depression durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst: Das muss nicht zwingend negativer Art wie ein Verlusterlebnis oder eine Überforderungssituation sein, es kann auch eine scheinbar positive Veränderung wie eine bestandene Prüfung sein.
Zu einer Depression gehören immer zwei Seiten: Die psychosoziale, die das Verhalten und das Empfinden des Patienten umschreibt, ebenso wie die neurobiologische Seite, die alles umfasst, was in seinem Körper vor sich geht, also beispielsweise das Ungleichgewicht der Botenstoffe in bestimmten Hirnregionen berücksichtigt. Eine Depression wird sowohl mit Psychotherapie als auch mit Antidepressiva behandelt, um beide Seiten zu therapieren.
Auch wenn die Depression eine ernste und ernst zu nehmende Erkrankung ist, kann sie mit professioneller Hilfe gut behandelt werden. Erster Ansprechpartner bei dem Verdacht, möglicherweise unter einer Depression zu leiden, ist der Hausarzt. Er wird den Patienten gegebenenfalls zu einem Psychiater oder psychologischem Psychotherapeuten überweisen. Zusätzlich zur medikamentösen Behandlung und zur Psychotherapie gibt es ergänzende Behandlungsverfahren wie Sport oder eine gezielte Lichttherapie, die sich positiv auf den Zustand des Patienten auswirken kann.
Weniger Schlaf ist besser
Ein großer Teil der depressiv erkrankten Patienten hat mit Schlafstörungen zu kämpfen. Die meisten von ihnen fühlen sich deshalb am folgenden Tag erschöpft und ausgelaugt – und neigen deshalb dazu, sich auch tagsüber hinzulegen und abends sehr früh ins Bett zu gehen. Die Hoffnung, dadurch besser zu schlafen und so wieder zu Kräften zu kommen, trügt aber in den meisten Fällen. Oft führt die lange Zeit im Bett zu einer weiteren Stimmungsverschlechterung. Deshalb raten Experten, trotz der gefühlten Erschöpfung aufzustehen und den Tag aktiv zu gestalten – auch das ist eine ergänzende Behandlungsmethode.
Auch Senioren sind häufig betroffen
Grundsätzlich gibt es große Unsicherheiten, gerade was die Depression bei alten Menschen betrifft. Häufig wird eine depressive Erkrankung bei Senioren falsch oder erst gar nicht behandelt, was mit zu den Suizidraten im Alter beiträgt. Oft wird angenommen, dass Senioren seltener bereit zu einer psychotherapeutischen Behandlung seien, obwohl immerhin 64 Prozent der über 70-Jährigen angeben, eine Psychotherapie machen zu wollen, wenn sie empfohlen würde. Tatsächlich lassen sich zwar 31 Prozent der 30- bis 69-Jährigen mit ihrer Depression vom Psychotherapeuten behandeln, während nur 12 Prozent der über 70-jährigen Betroffenen eine Psychotherapie erhält, so die Stiftung Deutsche Depressions- hilfe. (eva)