Frauen- und Männergesundheit

Lücken in der Darmkrebs-Vorsorge schließen

Bei Darmkrebs kann die Vorsorge von entscheidender, ja mitunter sogar lebenswichtiger Bedeutung sein. In der Theorie ist Deutschland dahingehend gut aufgestellt. Doch in der Praxis zeigen sich Lücken bei der Vorsorge-Situation, etwa bei der Berücksichtigung von familiären Vorbelastungen.

15.06.2022
Bei Darmkrebs ist Vorsorge entscheidend.  Foto: AdobeStock/Henrie Bei Darmkrebs ist Vorsorge entscheidend. Foto: AdobeStock/Henrie
Foto: Alexander Sell

Dr. Clara Park
Radiologin
RNS Gemeinschaftspraxis
Wiesbaden



Nach Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) sind im Jahr 2018 mehr als 60.000 Menschen in Deutschland an Darmkrebs erkrankt. Die meisten Darmkrebs-Neuerkrankungen werden dabei nach dem 50. Lebensjahr festgestellt. Allerdings gibt es zwei wichtige Tatsachen, die wenig Beachtung finden: Jeder zehnte Darmkrebsfall wird vor dem 50. Geburtstag diagnostiziert und mehr als jeder zehnte Deutsche hat eine familiäre Belastung für Darmkrebs. So gibt es Menschen, bei denen Darmkrebs schon zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr auftritt. Diese Menschen fallen aus dem Vorsorgeraster heraus – mit oft tödlichen Folgen. Denn bei ihnen wird der Darmkerbs häufig erst diagnostiziert, wenn er bereits Beschwerden verursacht oder sich Metastasen in anderen Organen gebildet haben. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e.V. (DGVS) fordert deshalb, die Vorsorge bei familiär bedingtem Darmkrebs zu verbessern.
Jahr für Jahr erkranken weniger Menschen in Deutschland an Darmkrebs. Eine erfreuliche Entwicklung, die dem Darmkrebsexperten und Chefarzt der Inneren Medizin und Gastroenterologie am Helios Klinikum Berlin-Buch, Prof. Dr. med. Frank Kolligs, zufolge vor allem an der bereits guten Vorsorgestruktur in Deutschland liegt: „Für gesetzlich Versicherte bietet unser Gesundheitssystem bereits gute Vorsorgeleistungen ab dem 50. Lebensjahr an. Mit diesen Angeboten zur Früherkennung können wir Krebsvorstufen und Darmkrebs in frühen Stadien rechtzeitig finden und entfernen.“ Menschen, die aufgrund von familiärer Vorbelastung ein erhöhtes Darmkrebsrisiko haben, kommen diese Vorsorgestrukturen allerdings nicht zugute. „Bei familiär bedingtem Darmkrebs erkranken Betroffene häufig schon vor dem 50. Lebensjahr. Daher muss bei dieser Risikogruppe deutlich früher mit Vorsorgeuntersuchungen begonnen werden“, sagt Kolligs.
Tritt bei einem Familienmitglied Darmkrebs vor dessen 50. Geburtstag auf, muss auch an eine genetische Belastung gedacht werden. Wichtig sei es laut Kolligs, dass Angehörige jung an Darmkrebs Erkrankter frühzeitiger als von den Kassen regulär empfohlen mit der Darmkrebsvorsorge beginnen. „Es gilt die Faustregel, dass man zehn Jahre vor dem Alter der Diagnosestellung des Angehörigen mit der Darmkrebsvorsorge beginnen sollte. Ein Beispiel: Hat mein Vater mit 50 Jahren die Diagnose Darmkrebs erhalten, sollte ich als Sohn ab dem 40. Geburtstag mit der Darmkrebsvorsorge beginnen. So ist es möglich, Krebsvorstufen rechtzeitig zu erkennen und Darmkrebs zu bekämpfen, bevor er ein größeres Problem wird.“
Neben einer familiären Belastung sind insbesondere ein hoher Fleisch- und Alkoholkonsum, Rauchen, Bewegungsarmut und Übergewicht als Risikofaktoren für Darmkrebs bekannt. Bei etwa 16 Prozent der Erkrankten tritt Darmkrebs gehäuft innerhalb einer Familie auf. Experten halten hier Kombinationen von Mutationen auf zahlreichen Genen für eine Ursache. Eine genetische Analyse ist aber nur sinnvoll, wenn der Verdacht auf das Vorliegen von erblichem Darmkrebs besteht, hier wird dann gezielt nach entsprechenden genetischen Veränderungen gesucht. „Die Darmspiegelung ist daher die einzige zuverlässige Diagnosemöglichkeit bei familiärem Darmkrebs. Beinahe 20 Prozent aller Darmkrebspatienten fallen durch unser Vorsorgeraster. Es ist dringend notwendig, dass Politik und Krankenkassen in Bezug auf familiären Darmkrebs mehr Aufklärungsarbeit leisten“, sagt auch Professor Dr. med. Heiner Wedemeyer, Mediensprecher der DGVS und Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie der Medizinischen Hochschule Hannover. (red)