Frauen- und Männergesundheit

Belastungsinkontinenz: Keine falsche Scham!

Millionen Frauen leiden still. Denn über das, was sie bedrückt, können die wenigsten reden. Dabei ist Hilfe möglich, wenn man sich ein Herz fasst und mit dem Arzt darüber spricht.

28.04.2020
Dr. Anna Kolterer zeigt der Patientin Edeltraut M. das Bändchen, das die Harnröhre bei Belastung stabilisiert.	Foto: Uniklinikum Dresden /Holger Ostermeyer Dr. Anna Kolterer zeigt der Patientin Edeltraut M. das Bändchen, das die Harnröhre bei Belastung stabilisiert. Foto: Uniklinikum Dresden /Holger Ostermeyer
Foto: Alexander Sell

Dr. Clara Park
Radiologin
RNS Gemeinschaftspraxis
Wiesbaden



Obwohl Inkontinenz eine Volkskrankheit ist, sprechen nur wenige Betroffene darüber – lieber nehmen sie Einschnitte in der Lebensqualität in Kauf. Genau wie Edeltraut M. aus Sachsen. Die Rentnerin hatte sich lange damit abgefunden, dass sie ihren Harn nicht mehr halten konnte, wenn sie nach dem Einkauf vollbepackt die Treppen zu ihrer Wohnung hochstieg. „Das gehört eben dazu, wenn man älter ist“, redete sie sich lange Zeit ein.

Gefährlicher Verzicht

Die einzige Lösung: weniger trinken und häufiger zur Toilette gehen. Deshalb begann für die heute 81-Jährige der Gang durch die Innenstadt immer auf einer der raren öffentlichen Toiletten.
Während diese Vorsichtsmaßnahme lediglich den Alltag deutlich einschränkt, ist das reduzierte Trinken geradezu gefährlich: „Wenn Patienten stärkere Medikamente einnehmen müssen und über den Tag zu wenig trinken, kann es lebensgefährlich werden“, sagt Dr. Anna Kolterer. Die Oberärztin leitet die Urogynäkologische Sprechstunde der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Dresdner Uniklinikums und sieht dabei viele betroffene Frauen mit solchen Vorgeschichten, die Scham und das Leid, das damit einhergeht.

Schwacher Beckenboden

Bei Edeltraut M. diagnostizierte Kolterer eine Belastungsinkontinenz. Erste Gegenmaßnahme ist in diesem Fall das Training des Beckenbodens. Gezielte Übungen, angeleitet von spezialisierten Physiotherapeuten, können das Problem mildern. Allerdings braucht es dazu Hartnäckigkeit und Geduld. Bevor die Übungen Erfolg zeigen, vergehen wie bei jedem anderen Muskeltraining drei bis sechs Monate. Und wer damit wieder aufhört, wird den positiven Effekt auch verlieren. Andererseits können Medikamente die Beckenbodenmuskulatur stärken.
Die Kombination aus Beckenbodentraining und medikamentöser Therapie hat gerade bei jüngeren Frauen gute Effekte.

Bändchen plus Training

Bei Edeltraut M. fiel die Entscheidung jedoch auf eine kleine Operation. Dabei wird ein kleines Band spannungsfrei um die Harnröhre gelegt, um diese bei Belastung zu stabilisieren.
Der minimalinvasive Eingriff dauert in der Regel 20 bis 30 Minuten. Nach drei Tagen konnte die rüstige Dresdnerin das Uniklinikum verlassen. „Hätte ich das nur früher machen lassen“, sagt sie heute. Denn nun steht der Toilettenbesuch nicht mehr im Mittelpunkt ihres Stadtbummels und sie kann ohne Bedenken Treppen steigen, Fahrrad fahren oder ins Fitnessstudio gehen. Dort trainiert sie vor allem ihren Rücken und die Beckenbodenmuskulatur.(red)