Ernährung und Gewichtskontrolle

Eine stille und stetig wachsende Pandemie

Deutschland hat ein schweres Pandemie-Problem. Gemeint ist in diesem Fall allerdings nicht die allgemein präsente Corona-
Situation. Bereits seit Jahrzehnten macht sich nahezu im Stillen ein anderes Gesundheitsproblem breit: Adipositas, auch als Fettleibigkeit bekannt.

07.03.2022

Liegt das Körpergewicht eines Menschen in Relation zur gegebenen Körpergröße über dem Normalmaß, spricht man von Übergewicht. Starkes Übergewicht wird als Adipositas bezeichnet. Dabei geht es nicht um die Abweichung von einem ästhetischen Ideal, sondern um eine ernstzunehmende Erkrankung. Entsprechend wurde sie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch als eigenständige Krankheit eingestuft.
Um zu ermitteln, ob eine Person lediglich die umgangssprachlichen „paar Kilo zu viel auf den Rippen“ hat, wird in der Regel der Body Mass Index (BMI) zurate gezogen. Er stellt das Verhältnis von Körpergewicht zum Quadrat der Körpergröße dar, ist also relativ leicht zu erfassen. Sein Nachteil ist allerdings, dass er keine exakte Aussage über den eigentlich entscheidenden Körperfettgehalt liefert, da er nicht zwischen Fett- und Muskelmasse unterscheidet. Deshalb dient er lediglich als Indikator. Nicht zuletzt aufgrund der Vergleichbarkeit und auf Basis von Erfahrungen lässt sich jedoch sagen, dass der BMI einen insgesamt guten Eindruck von der Gewichtssituation liefert.
Die WHO hat auf Basis des BMI ein Klassifikationsschema entwickelt, das für Orientierung bei der Einstufung des Gewichts sorgt. Demnach gilt ein Erwachsener mit einem BMI zwischen 18,5 und 25 kg/m2 als normalgewichtig. Ein BMI zwischen 25 und 30 kg/m2 wird als Übergewicht definiert, ab 30 kg/m2 als Adipositas. Das große Problem über die vergangenen Jahrzehnte ist, dass immer mehr Menschen von dem als normal eingestuften Gewicht abweichen.
Die Zahlen sind alarmierend: Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2017 sind in Deutschland rund zwei Drittel aller Männer und knapp über die Hälfte aller Frauen übergewichtig. Ein Viertel aller Erwachsenen (23 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen) ist sogar stark übergewichtig, leidet also an Adipositas. Damit belegt Deutschland noch nicht einmal einen Spitzenplatz im internationalen Vergleich. In Großbritannien, Finnland, Australien, Kanada, Portugal, Türkei, Ungarn, Neuseeland, Mexiko und Chile sind die Werte laut einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) noch höher. Unangefochtener Spitzenreiter sind die USA, bei denen der Anteil der von Adipositas betroffenen Jugendlichen und Erwachsenen sogar schon bei über 40 Prozent liegt.
Besonders besorgniserregend ist der rasante Anstieg der Zahlen. Allein in den OECD-Ländern haben die Adipositas-Fälle zwischen 2010 und 2016 um drei Prozent zugenommen, das entspricht einer Zahl von 50 Millionen Betroffenen. Die OECD konstatierte deshalb bereits 2017, Adipositas habe das alarmierende Ausmaß einer Volkskrankheit angenommen. Die WHO hat Adipositas sogar als weltweite Pandemie eingestuft. Die damit einhergehenden Sorgen sind berechtigt. Und sie werden größer, auch aufgrund der Corona-Pandemie. Erste Studien legen nahe, dass sich die Situation seitdem weiter verschärft hat.
Doch was steckt eigentlich hinter den Statistiken? Adipositas sorgt bei Betroffenen in den meisten Fällen für ernstzunehmende gesundheitliche Konsequenzen. Zu den unmittelbaren Auswirkungen gehören eine verminderte physische Leistungsfähigkeit, eine deutlich reduzierte Lebenserwartung und eine hohe psychische Belastung durch Stigmatisierung und den Verlust des Selbstwertgefühls. Darüber hinaus ist Adipositas aber vor allem ein Wegbereiter für eine Vielzahl von schwerwiegenden Folgeerkrankungen. Laut WHO erhöht Adipositas das Risiko unter anderem für diverse Krebserkrankungen, Hüftgelenks-Arthrose, Rückenschmerzen und Unfruchtbarkeit um das ein- bis zweifache. Das Risiko für koronare Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Kniegelenk-Arthrose, Gicht und Refluxösophagitis ist um das zwei- bis dreifache erhöht. Ein mehr als dreifach erhöhtes Risiko besteht auf Typ-2-Diabetes mellitus, Cholezystolithiasis (Gallensteinerkrankung), erhöhte Blutfettwerte, Insulin-Resistenz, Fettleber und Schlaf- Apnoe.
Trotz der teils dramatischen Entwicklungen wird in Deutschland aus Sicht von Experten immer noch zu wenig im Kampf gegen Adipositas getan. So kritisiert unter anderem die Deutsche Adipositas-Gesellschaft die unzureichende Versorgungslage. Wohin das in den nächsten Jahren führt, ist nicht exakt absehbar. Eines steht aber fest: Die Problematik wird nicht abnehmen. (dho)