Augen, Nase und Ohren

Hörscreening ab 50 – Schwerhörigkeit früher erkennen und behandeln

Selten versagt das Gehör von heute auf morgen seinen Dienst. Deshalb ist es für Betroffene so schwer, rechtzeitig die Warnzeichen zu erkennen. Ein Screening für alle ab 50 könnte das ändern.

25.04.2019

Rund 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind schwerhörig. Die Dunkelziffer ist noch höher. Auch ist der Verlust des Hörvermögens ein langer Prozess, dessen Ergebnis die wenigsten Betroffenen wahrhaben wollen. Deshalb wird ein schlechtes Hörvermögen oft erst spät bemerkt, berichtet PD Dr. Jan Löhler, Direktor des Wissenschaftlichen Instituts für angewandte HNO-Heilkunde aus Bad Bramstedt. Um schwerwiegende Folgen zu verhindern, sei ein reguläres Hörscreening ab dem
50. Lebensjahr erforderlich,
betont er. „Nur so können Hörprobleme rechtzeitig erkannt und vom Hals-Nasen-Ohren-Arzt behandelt werden.“

Alterndes Innenohr

Besonders ab der zweiten Lebenshälfte nehme die Anzahl Schwerhörender mit steigendem Alter erheblich zu, erläutert der Experte. Häufig sei hierfür eine Presbyakusis, also eine Altersschwerhörigkeit, verantwortlich. Durch sie komme es zu lebenszeitbedingten, degenerativen Prozessen im Bereich des Innenohres, so der HNO-Arzt.
Die Folgen der sinkenden Hörfähigkeit werden von den Betroffenen allzu oft nicht ernst genommen: „Schwerhörigkeit führt nicht nur zu Kommunikationsproblemen in akustisch schwierigen Situationen, wie z. B. in einer größeren Gesellschaft, bei Nebengeräuschen oder in großen, hallenden Räumen. Sie hat auch zur Folge, dass sich Betroffene häufig sozial isolieren.“
Grund einer Störung auf geistiger, kognitiver Ebene sind laut Löhler komplexe Veränderungen im Gehirn, die u. a. auf Kompensation und neuronaler Umprogrammierung beruhen: „Damit einhergehend sinkt die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Gehirns. Zudem steigen die Risiken, an einer Demenz zu erkranken und eine Depression zu erleiden. Auch der Gleichgewichtssinn ist beeinträchtigt, sodass das Risiko zu stürzen steigt.“
Problematisch sei, dass die Erkrankung oft zu spät erkannt werde, erklärt der HNO-Experte. Eine Schwerhörigkeit verlaufe oft schleichend und würde von den Betroffenen lange nicht bemerkt. „Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass bereits knapp 50 Prozent aller über 50-Jährigen und mehr als drei Viertel aller über 60-Jährigen von einer relevanten Hörminderung betroffen sind“, so Löhler. Nur etwa ein Drittel aller Betroffenen seien sich ihrer Hörprobleme bewusst. Mit zunehmendem Lebensalter sinke paradoxerweise das Bewusstsein dafür, tatsächlich schwerhörig zu sein. Deswegen werde nur ein geringer Teil der Betroffenen adäquat, z. B. durch geeignete Hörgeräte, behandelt.

Screening ab 50 sinnvoll

Um die schwerwiegenden Folgen der Schwerhörigkeit zu verhindern oder abzumildern, sei ein reguläres Hörscreening, beispielsweise mit einem einfachen, von jedem Arzt handhabbaren Fragebogen, ab dem 50. Lebensjahr erforderlich. Nur so können Schwerhörende rechtzeitig identifiziert und adäquat vom HNO-Arzt behandelt werden, meint der Experte.
Die Erfolgsaussichten der Behandlung seien hoch. Oft könne die Schwerhörigkeit durch Hörgeräte ausgeglichen werden: „Die von den gesetzlichen Krankenkassen eigenanteilsfrei zur Verfügung gestellten Geräte ermöglichen in der Regel eine befriedigende Versorgung der Betroffenen. Gutes Hören ist also nicht vom persönlichen Geldbeutel abhängig“, berichtet Löhler.
Neben einer Hörgeräteversorgung können operative Verfahren in Betracht gezogen werden, ergänzt der HNO-Arzt: „Selbst hochgradig Schwerhörenden oder funktionell Ertaubten kann heute durch den Einsatz einer Innenohrprothese, eines sogenannten Cochlea Implants (CI), gut geholfen werden.“

Chronisch Kranke im Blick

Aufgrund des chronischen Verlaufs der meisten Erkrankungen, die eine Schwerhörigkeit verursachen, müssen Schwerhörende wie Hypertoniker, Asthmatiker oder Diabetiker lebenslang HNO-ärztlich begleitet werden. Löhler: „Nur so können möglicherweise mit einer Schwerhörigkeit einhergehende und gefährliche Zweiterkrankungen, wie Akustikusneurinome oder Cholesteatome, rechtzeitig erkannt und behandelt werden.“ Außerdem sei es nur HNO-ärztlich möglich, bei einer fortschreitenden Schwerhörigkeit die individuell sehr unterschiedliche Abgrenzung von einer Hörgeräteversorgung zur möglichen CI-Implantation vorzunehmen. „Niedergelassene HNO-Ärztinnen und -Ärzte arbeiten hierbei eng mit den HNO-Kliniken zusammen“, so der Mediziner. (red)