Alters- und Palliativmedizin

Wenn es plötzlich nicht mehr schmeckt

Bei Demenzkranken kann die Ernährung zum Problem werden. Leicht kommt es zu Störungen wie der Verweigerung der Nahrungsaufnahme, auf die Angehörige angemessen reagieren müssen.

22.07.2020

Ein dementes Familienmitglied stellt die Angehörigen vor viele Herausforderungen. Auch die Ernährung kann zu einer außerordentlichen Belastung werden. Bei vielen Patienten kommt es zu teils massiven Störungen bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Eine Mangelernährung und Dehydration sind laut Allgemeinmedizinerin Annett Roßmann vom Diakonissenkrankenhaus Dresden, das als demenzsensibles Krankenhaus zertifiziert ist, mögliche Folgen.
Bei Demenzerkrankungen treten erste Ernährungsprobleme oft auf, lange bevor die Diagnose gestellt wird. Mit fortschreitender Erkrankungsdauer nehmen diese dann meist zu. Mediziner gehen daher davon aus, dass etwa 40 Prozent der Patienten im Laufe ihrer Erkrankung davon betroffen sind. Wichtig ist es angesichts dessen, eine Störung möglichst frühzeitig zu erkennen, um darauf reagieren zu können. Den Ernährungszustand und die Nahrungszufuhr sollten Ärzte und Angehörige stets im Blick behalten.

Essen in Gesellschaft

Im Extremfall verweigert der Patient die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme komplett – für Angehörige eine Horrorvorstellung und eine Situation, mit der sie nur schwer umgehen können. Doch auch wenn der Demenzkranke plötzlich zu viel, zu wenig oder schlicht das Falsche zu sich nimmt, weil Nahrungsmittel nicht mehr richtig erkannt werden oder der Geschmacks- und Geruchssinn beeinträchtigt sind, wird es heikel.
Damit es gar nicht so weit kommt, können Angehörige präventiv einiges tun. Das Essen in Gesellschaft sorgt etwa dafür, dass Angehörige einerseits die Ernährung gut überwachen, andererseits eine beruhigende Atmosphäre schaffen können. Feste Tagesstrukturen, Rituale und Essgewohnheiten, Lieblingsspeisen oder die Verwendung von bekannten Produkten sind ebenfalls hilfreich. Generell werden energiereiche Nahrungsmittel mit einer möglichst ausgewogenen Bilanz an Makronährstoffen, die dem Proteinbedarf älterer Menschen entspricht, empfohlen. Ob auch der systematische Einsatz von appetitanregenden Substanzen hilfreich ist, wird derzeit noch wissenschaftlich diskutiert. Entsprechende Beweise gibt es noch nicht. Der Geschmack steht aber letztlich über der Zusammensetzung. Primär wichtig ist, dass die Patienten überhaupt Nahrung ungezwungen aufnehmen, nicht zuletzt, weil es für sie ein Stück verbliebener Lebensqualität bedeutet.

Künstliche Ernährung

Wenn es dennoch zu Störungen kommt, können Angehörige versuchen, zunächst mit einfachen Mitteln entgegen zu steuern. Auf eine reduzierte Nahrungsaufnahme lässt sich zum Beispiel mit kalorienreichen Getränken, Zwischenmahlzeiten und Nahrungsergänzungsmitteln reagieren. Kommt es zu Problemen beim Essen mit Besteck, kann Fingerfood eine Alternative sein. Wichtig ist für Angehörige aber vor allem, Geduld zu beweisen und keinen Druck auszuüben. Bei ablehnendem Essverhalten sind motivierende und aufmunternde Gespräche sinnvoller als böse Worte und Geschimpfe.
Auf eine künstliche Ernährung sollte laut den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin so lange es geht verzichtet werden – aus pyhsiologischen und psychologischen Gründen. Die klassische, orale Nahrungsaufnahme stabilisiert unter anderem die Darmflora und unterstützt die Immunabwehr. Darüber hinaus steht sie für Normalität. Parenterale und enterale Ernährung sollten deshalb nur im Notfall erfolgen. (red)