Alters- und Palliativmedizin

Auseinandersetzung mit der Endlichkeit

Das Thema Tod und Sterben ist durch die Coronakrise gegenwärtig wie nie zuvor in unserer Gesellschaft. Eine neue repräsentative Studie gibt Aufschluss über die Wünsche und Ängste der Menschen am Lebensende.

08.12.2020

Die Covid-19-Pandemie ist gerade einmal ein halbes Jahr in unser aller Leben angekommen. Plötzlich tut die Mehrheit der Menschen in diesem Land alles, um die Risikogruppen vor einer potenziell lebensbedrohlichen Infektion mit dem neuartigen Virus zu schützen. Die Maßnahmen sollen einer Überlastung der Gesundheitssysteme im Falle einer zweiten Welle vorbeugen. Die Kehrseite aber ist, dass gerade im ersten Lockdown viele Ältere und Todkranke um eine gute Begleitung im Sterbefall bangen mussten. Durch die Kontaktsperre waren sie überwiegend isoliert und nicht – wie es sich die meisten wünschen – von ihren Angehörigen oder ehrenamtlichen Sterbebegleitern umgeben.

Neuer Umgang mit dem Tod

Die aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Sterben ist zwar einer akuten Krisensituation geschuldet. Doch aufgrund des demografischen Wandels wird uns dieses Thema auch in Zukunft begleiten: Wie wollen wir sterben? Was vielen Menschen als Privatangelegenheit erscheint, wird angesichts dieser Zunahme an Sterbefällen auch zu einem gesellschaftspolitischen Thema: Die Alterung der Bevölkerung fordert einen neuen Umgang mit dem Sterben. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, der Körber-Stiftung und der Software AG – Stiftung. Mit einer repräsentativen Umfrage und vertiefenden Leitfaden-Interviews gingen die Autoren der Frage nach, welche Wünsche, Ängste und Hoffnungen die Menschen mit ihrem Lebensende verknüpfen.

Schmerzfrei und selbstbestimmt gehen

Die Wünsche sind laut Umfrageergebnissen eindeutig: Nach einem langen Leben möchten die meisten Menschen schmerzfrei, nah am Gewohnten, selbstbestimmt, sozial eingebunden und gut versorgt aus dem Leben scheiden. „Damit sind sich alle einig darüber, was es heißt, ‘gut’ zu sterben: Frauen wie Männer, Junge wie Alte, Arme wie Reiche, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund“, erklärt Catherina Hinz vom Berlin-Institut. „Welche Befürchtungen und Hoffnungen Menschen mit ihrem eigenen Lebensende verbinden, hängt aber auch wesentlich damit zusammen, ob sie Lücken in der Gesundheits- und Palliativversorgung vor Ort wahrnehmen und ob sie bereits Sterbenden zur Seite gestanden haben.“

Palliativ- und Hospizangebote ausbauen

In Zukunft könnten Idealvorstellungen und Realität noch weiter auseinanderdriften. So würden beispielsweise 76 Prozent der Befragten ihr Lebensende am liebsten im Kreise ihrer Angehörigen verbringen. Gleichzeitig nimmt aber besonders unter den Älteren die Zahl der Einpersonenhaushalte seit Jahren zu. Mit den Babyboomern altern zudem jene Geburtsjahrgänge, die selbst nur wenige Kinder haben, die ihnen beistehen könnten.
Ambulante Palliativdienste, das soziale Umfeld sowie der Arbeitgeber könnten helfen. Doch gerade hier gibt es – so die Studie – Nachholbedarf: Bisher fühlen sich gerade einmal 22 Prozent ausreichend durch Freunde, Kirche oder Kommune unterstützt. Viele Befragte kritisierten zudem die geringe Zahl an Hospizen oder die gängige Praxis, Sterbende noch ins Krankenhaus zu bringen – insbesondere, wenn sie bereits Sterbende begleitet haben. Zwar steigt die Zahl an Medizinern und Pflegekräften mit palliativer Zusatzausbildung seit langem, doch nach wie vor fehlt es vielerorts an spezialisiertem Wissen, wie es etwa Hospize bereithalten.

Das Sterben nicht verdrängen – den Hinterbliebenen zuliebe

Die Studienergebnisse machen aber auch deutlich, dass es insgesamt einen Bedarf gibt, sich anders mit der Endlichkeit des Lebens zu befassen, als es derzeit der Fall ist. 75 Prozent der Befragten betrachten es als Missstand, dass das Thema Sterben verdrängt wird. „Die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod ist unerlässlich“, meint Doris Kreinhöfer von der Körber-Stiftung, „Ohne Auseinandersetzung kann der Einzelne nicht zu eigenen Vorstellungen und Wünschen kommen, ohne Auseinandersetzung wissen seine Nächsten nicht, wie und wo er sterben möchte, ohne Auseinandersetzung wissen wir nicht, welche Strukturen wir benötigen, um gutes Sterben zu ermöglichen.“
Mancherorts entstehen bereits neue Formate, die sich dem Lebensende nicht nur als pflegerische Herausforderung, sondern in all seinen Facetten widmen: im Museum mit aktueller Kunst zum Sterben, beim informellen Austausch zum Thema im Death Café oder beim Straßenfest, auf dem der örtliche Hospizverein seine Arbeit vorstellt. Sterben und Tod betreffen jeden Einzelnen in seiner individuellen Biografie.
Die Studie fordert daher alle – Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Medien und jeden Einzelnen – dazu auf, dem Sterben einen neuen Platz in der Gesellschaft zu geben. (red)