Allgemeine Medizin

Über Corona den Diabetes nicht vergessen!

Durch die derzeitige Pandemie-Lage droht nach Einschätzungen von Experten eine gefährliche Unterversorgung von chronisch Erkrankten mit Diabetes.

29.07.2020
Schon kleinste Verletzungen an den Füßen können große Folgen haben.  Foto: AdobeStock/Alexander Raths Schon kleinste Verletzungen an den Füßen können große Folgen haben. Foto: AdobeStock/Alexander Raths

Ärztinnen und Ärzte aus der Endokrinologie und Diabetologie beobachten derzeit einen starken Rückgang der Patientenzahlen in Praxen, Ambulanzen und Notambulanzen. Mancherorts wurden Diabetesabteilungen sogar zugunsten der Versorgung von COVID-19-Patienten geschlossen. Dadurch wurden dringliche Vorsorge- und Behandlungstermine von Patientenseite, aber auch seitens der Kliniken und Praxen verschoben, warnt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Notfallsituationen könnten dadurch zu spät identifiziert und Betroffene hierdurch unnötig gefährdet werden, so die Befürchtung.

Problem: Schlechte Blutzuckerwerte

„Die öffentliche Verunsicherung ist groß. Viele Menschen nehmen wichtige Arzttermine nicht mehr wahr oder bleiben bei akuten Beschwerden zu Hause – aus Rücksicht auf das Gesundheitssystem, aufgrund falsch verstandener Ausgangsbeschränkungen oder aus Angst vor Ansteckung mit dem Coronavirus“, warnt die DDG- Präsidentin Professor Dr. med. Monika Kellerer, Ärztliche Direktorin des Zentrums für Innere Medizin I am Marienhospital in Stuttgart. Dabei sind es vor allem Menschen mit schlecht eingestelltem Diabetes und Diabetesfolgeerkrankungen wie Herzkreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Nierenerkrankungen, Polyneuropathie und Gefäßerkrankungen, die im Falle einer Ansteckung einen schwereren Krankheitsverlauf fürchten müssen.

Risiko für Folgeerkrankungen wächst

Auch unabhängig davon kann ein unzureichend kontrollierter Diabetes schwere gesundheitliche Folgen haben. „Liegt beispielsweise der HbA1c-Wert über einen längeren Zeitraum nur etwa zwei Prozentpunkte über dem Therapieziel, steigt das Risiko für Folgeerkrankungen erheblich an“, warnt DDG- Mediensprecher Professor Dr. med. Baptist Gallwitz. Umgekehrt stellen schwere Hypoglykämien für Diabetespatienten eine unterschätzte akute Gefahr dar. Durch eine Ketoazidose könne der Betroffene ins Koma fallen.
Kellerer gibt schließlich zu bedenken, dass es noch ein Jahr und länger dauern könne, bis eine ausreichende „Durchseuchung“ der Bevölkerung erfolgt sei und/oder ein Impfstoff zur Verfügung stehe. Bis dahin könne man die chronischen Erkrankungen nicht un- oder unterversorgt lassen. Gerade bei Diabetes könne eine zunächst harmlos aussehende Infektion am Fuß bei Verschleppung der Behandlung eine spätere Amputation zur Folge haben.

Jeder hat das Recht auf eine Zweitmeinung

Eine gute Nachricht: Menschen mit Diabetes, die kurz vor einer Amputation stehen, haben ab sofort einen Rechtsanspruch auf eine Zweitmeinung. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Mitte April entschieden. Das würde den rund 250.000 Patientinnen und Patienten, die jährlich an einem Diabetischen Fußsyndrom (DFS) erkranken, zugutekommen. Denn in vielen Fällen lässt sich dadurch eine Amputation verhindern, was auch die Lebenserwartung erhöht. Laut Studien liegt die Fünf-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit der Betroffenen bei nur etwa 50 Prozent – vergleichbar mit einigen bösartigen Tumorerkrankungen. Der aktuelle Beschluss kann aber nur dann diese Wirkung entfalten, wenn die Zweitmeinung durch ein Gutachten von Experten entsteht, die auf diesem Gebiet viele Erfahrungen haben. „Das DFS ist ein hochkomplexes Krankheitsbild, das möglichst durch ein multidisziplinäres Team aus Diabetologen, Gefäßchirurgen und Orthopäden sowie der Integration der nichtärztlichen Assistenzberufe behandelt werden sollte“, betont Professor Dr. med. Ralf Lobmann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft „Diabetischer Fuß“ der DDG. Behandelnde Ärzte und ihre Patienten sollten sich daher an zertifizierte Einrichtungen wenden. Mit ihrer Expertise lassen sich Amputationen nachweislich deutlich reduzieren. Dennoch bleibt die Prävention durch gut eingestellte Zuckerwerte immer noch der bessere Weg. „Damit Menschen mit Diabetes möglichst gut durch die Corona-Pandemie kommen, raten wir dringend zur Einhaltung wichtiger Kontroll- und Behandlungstermine. Andernfalls droht ein schwerer Verlauf bei Infektionserkrankungen wie COVID-19 und auch ein Anstieg an akuten und chronischen Diabeteskomplikationen“, betont Kellerer. (red)