Allgemeine Medizin

Stimmlippenlähmung: Wie Bioimplantate Stimme und Atmung verbessern können

Wenn die Stimmlippen beeinträchtigt sind, kann das für Betroffene drastische Auswirkungen haben

nicht nur bei der Kommunikation. Doch es gibt operative und technische Möglichkeiten, die für Abhilfe sorgen.

15.06.2022
Singen erfordert gesunde Stimmlippen.  Foto: AdobeStock/HighwayStarz Singen erfordert gesunde Stimmlippen. Foto: AdobeStock/HighwayStarz

Eine Lähmung der Stimmlippen kann sowohl die Stimme als auch die Atmung erheblich beeinträchtigen. Ist nur eine der paarig im Kehlkopf liegenden Stimmlippen von der Lähmung betroffen, macht sich dies vor allem durch eine heisere oder hauchige Stimme bemerkbar. Sind beide Stimmlippen gelähmt, ist besonders die Atmung und damit auch die Belastbarkeit der Betroffenen eingeschränkt. Mithilfe von Bioimplantaten können die Beschwerden heute jedoch in vielen Fällen gelindert und die Lebensqualität der Betroffenen verbessert werden.
Die Ursachen für eine Stimmlippenlähmung können vielfältig sein. Infektionen, Autoimmunprozesse, Nervenverletzungen durch Operationen an Schilddrüse und Halswirbelsäule und onkologische Erkrankungen kommen ebenso infrage wie ein Schlaganfall. „Gemeinsam ist all diesen Störungen und Erkrankungen, dass sie Steuerzentren im Gehirn oder in der Mehrzahl die zum Kehlkopf ziehenden Nervenstränge schädigen“, sagt Prof. Dr. med. Andreas Müller, Chefarzt der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Plastische Operationen am SRH Wald-Klinikum Gera. Je nach Ausmaß und Lage der neuralen Schädigung gehe die Kontrolle über die Stimmlippen zeitweise oder dauerhaft verloren.
Bei einer einseitigen Stimmlippenlähmung verharrt die betroffene Stimmlippe leicht abseits der Mittellinie, die für die Stimmbildung notwendige Annäherung an die gesunde Stimmlippe gelingt nur unvollständig. „Weil die Stimmritze nicht richtig geschlossen werden kann, klingt die Stimme heiser und kraftlos“, erläutert Müller. Durch verschiedene operative Eingriffe lasse sich jedoch eine Annäherung der beiden Stimmlippen erreichen. So kann die erschlaffte Stimmlippe etwa mit biokompatiblen Füllmaterialien oder körpereigenem Fett unterspritzt werden, um sie allein durch ein größeres Volumen wieder mehr in Richtung Mitte zu bringen. „In der Praxis hat es sich bewährt, eine neu diagnostizierte Stimmlippenlähmung möglichst frühzeitig zum Beispiel mit einer Hyaluronsäure-Injektion zu behandeln“, so Müllers Erfahrung. Dieses sonst eher für die kosmetische Unterspritzung von Gesichtsfalten verwendete Material könne die Beschwerden rasch lindern, eine Erholung des Stimmapparats fördern und die Dauer einer möglichen Arbeitsunfähigkeit verkürzen. Innerhalb weniger Monate wird die Hyaluronsäure vom Körper wieder abgebaut – ein Vorteil für den gar nicht so seltenen Fall, dass die Stimmlippenfunktion von selbst wiederkehrt. „Und auch wenn die Lähmung dauerhaft bestehen bleibt, schränkt eine vorangegangene Hyaluronsäure-Behandlung die therapeutischen Möglichkeiten nicht ein“, betont Müller.
Eine dieser Möglichkeiten ist die Einspritzung dauerhafter Filler, die vom Körper nicht abgebaut werden. Bei ausgeprägter Fehlstellung kann jedoch auch das Einsetzen eines festen Implantats notwendig werden, das die Stimmlippe Richtung Mitte schiebt. Eine neue Entwicklung auf diesem Gebiet ist ein so genanntes Komposit-Implantat, das ein Silikonkissen enthält und auch nach der Operation noch eine Feinjustierung der Stimmlippenstellung erlaubt; hierfür wird Kochsalzlösung in das Kissen eingespritzt und so dessen Größe unter Stimmkontrolle angepasst.
Wesentlich seltener als die einseitige ist die beidseitige Stimmlippenlähmung. Weil die erschlafften Stimmlippen sich im Atemstrom aufeinander zu bewegen und die Stimmritze verengen, können sie die Atmung stark beeinträchtigen oder sogar lebensbedrohlich blockieren. Die Stimme ist aufgrund der permanenten Nähe der Stimmlippen zueinander in der Regel jedoch gut erhalten. Die Behandlung der beidseitigen Stimmlippenlähmung besteht meist in einer operativen Vergrößerung der Stimmritze. Damit lässt sich die Atmung erleichtern

allerdings geht diese Verbesserung zulasten der Stimmqualität. „Hier haben sich in den vergangenen Jahren mikrochirurgische Verfahren etabliert, die einen deutlich besseren Kompromiss zwischen der Verbesserung der Atmung und dem Erhalt der Stimme erzielen“, berichtet Müller. Hier überhaupt Kompromisse einzugehen, könnte durch den so genannten Kehlkopfschrittmacher in Zukunft weitgehend überflüssig werden: Das noch in der Entwicklung befindliche Implantat übernimmt durch präzise elektronische Impulse die Steuerung der Kehlkopfmuskeln und ermöglicht so einen Wechsel zwischen der Atem- und der Sprechstellung der Stimmlippen. „Noch ist dieser Therapieansatz nur im Rahmen von klinischen Studien möglich“, sagt Müller. Er sei jedoch zuversichtlich, dass das aktive Implantat bereits in naher Zukunft zugelassen und die breite Palette der bereits verfügbaren Bioimplantate um eine weitere wichtige Behandlungsoption ergänzen werde. (eva)