Allgemeine Medizin

Mit gutem Beispiel voran: Zarin Katharina die Große ließ sich impfen

Kaum etwas ist derzeit so aktuell wie das Thema Impfen. Doch seit wann gibt es Impfungen eigentlich und wie wurden sie praktiziert? Ein Ausflug in die Medizingeschichte.

12.07.2021
Zarin Katharina die Große ließ sich impfen und nahm so vielen Untertanen die Angst vor der Impfung.  Foto: AdobeStock/Juulijs, Davidus und kebox Zarin Katharina die Große ließ sich impfen und nahm so vielen Untertanen die Angst vor der Impfung. Foto: AdobeStock/Juulijs, Davidus und kebox

Es ist eine Nacht- und Nebel-Aktion: Nur wenige Getreue wissen davon, warum der sechsjährige Sascha Markow mitten in der Nacht aus seinem Bett geholt wird. Schlafend und in Decken gewickelt wird das Kind durch einen geheimen Gang in die Gemächer der Zarin in ihrem Palast in Sankt Petersburg gebracht. Der kleine Junge ist krank – er hat die Pocken. Und er soll die Zarin retten, und das ganze russische Volk am besten gleich mit.

Katharina die Große hatte vor wenigem Angst, aber die Pocken zählten dazu. Ihr Gatte, Zar Peter III., hatte als Kind eine Pockeninfektion überlebt, aber bleibende gesundheitliche Schäden zurückbehalten. Tiefe Pockennarben in seinem Gesicht ließen ihn seine Erkrankung niemals vergessen. Eine Hofdame Katharinas erkrankte kurz vor ihrer Hochzeit mit einem russischen Minister an den Pocken und starb – niemand wusste, wann und wo sie sich angesteckt hatte: Die Pocken lauerten überall.

Tödliche Geißel der Menschheit

Schon seit der Antike galten die Pocken als Geißel der Menschheit: Die Infektionskrankheit verlief in rund 30 Prozent der Fälle tödlich, ein Mittel dagegen gab es nicht. Im 18. Jahrhundert vermehrten sich die Pocken sprunghaft, rafften die Menschen quer durch alle gesellschaftlichen Schichten dahin. Oder entstellten sie auf entsetzliche Weise. Wie viele Menschen im Laufe der Jahrtausende den Pocken zum Opfer fielen, kann nur geschätzt werden: So sollen in Europa allein im 18. Jahrhundert 400.000 Menschen pro Jahr an dieser Infektionskrankheit gestorben sein.

Grund genug für die russische Zarin, 1768 einen entscheidenden Schritt zur Bekämpfung der Seuche zu tun: Sie ließ sich impfen. Der englische Arzt Thomas Dimsdale hatte kurz zuvor seine Studie über eine neue Impfmethode mit Lebendimpfstoff veröffentlicht, die auf der Methode der Inokulation beruhte. Er wurde nach Sankt Petersburg eingeladen, um Katharina zu impfen und ein Impfzentrum für den Hof und die Bevölkerung einzurichten. Bei der nächtlichen Impfaktion ritzte der Arzt der Zarin mehrere winzige Schnitte in die Haut. Dann öffnete er eine Pockenpustel des kleinen Sascha und übertrug das infektiöse Material von Arm zu Arm.

Triumphfzug nach vollständiger Genesung

Katharina verlor keine Zeit, sondern brach sofort danach in ihre außerhalb der Hauptstadt gelegene Residenz in Zarskoje Selo auf. Mit ihr Thomas Dimsdale und sein Sohn, der als sein Assistent fungierte, die den Zustand der Zarin genau beobachteten und darüber Buch führten. In den folgenden Tagen bekam Katharina Fieber, hatte Halsschmerzen und fühlte sich schwach. Einzelne Pockenpusteln bildeten sich an ihrem Körper, heilten aber schnell wieder ab. Zehn Tage später hatte sie sich vollständig erholt und kehrte triumphierend nach Sankt Petersburg zurück. Mit ihr Dimsdale und sein Sohn, für die während des Aufenthalts in Zarskoje Selo Tag und Nacht eine Kutsche bereit gestanden hatte – Katharina hatte verfügt, sie unverzüglich außer Landes zu bringen, falls etwas schiefgehen sollte. Jetzt, nach der erfolgreichen Impfung, bekamen sie den Titel eines russischen Barons und eine jährliche Rente. Und es wartete eine Menge Arbeit auf die beiden: Die Impfungen in Russland begannen – noch am gleichen Tag wurde Katharinas Sohn Paul geimpft.

Kuhpocken schützten vor „echten“ Pocken

Einen anderen Weg ging der britische Impf-Pionier Edward Jenner: Seine Beobachtungen hatten gezeigt, dass sich Menschen, die sich mit den „Kuhpocken“ infiziert hatten – einem harmlosen Ausschlag am Euter der Kühe, der meist beim Melken übertragen wurde – keine „echten“ Pocken bekamen. 1796 bewies er seine Vermutung mit einer spektakulären Impfung: Jenner impfte den achtjährigen James Phipps mit dem Sekret aus den Pusteln einer an den Kuhpocken erkrankten Milchmagd. Das Kind bekam erwartungsgemäß die Kuhpocken. Sechs Wochen später wurde ihm infektiöses Pockensekret per Inokulation übertragen – Jenner hatte recht, James Phipps blieb gesund: ein Meilenstein der Medizingeschichte war damit gesetzt. Jenner wurde enthusiastisch gefeiert und seine Methode weltweit angewendet – in der Folgezeit konnten unzählige Menschen erfolgreich gegen die Pocken geimpft werden. Letztlich ist es Jenners Verfahren zu verdanken, dass die Pocken zurückgedrängt werden konnten. Heute gilt die Infektionskrankheit als ausgerottet. (eva)