Allgemeine Medizin

„Die Erwartungshaltungen der Patienten sind zum Teil unrealistisch“

Die Zahl der Schönheitsoperationen stieg in den 2000er-Jahren weltweit rasant an und bewegt sich seitdem mit bis zu 25 Millionen Eingriffen auf Rekordniveau. Auch in Deutschland boomt der Markt. Im Interview spricht Prof. Dr. Henrik Menke, Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgie (DGPRÄC) und Chefarzt der Klinik für Plastische, Ästhetische und Handchirurgie und Zentrum für Schwerbrandverletzte am Klinikum Offenbach sowie der Klinik für Plastische und Handchirurgie am Marienkrankenhaus Mainz, über Ursachen und Auswirkungen dieses Trends.

15.06.2022
Der Wunsch, den sichtbaren Spuren des Alters zu trotzen, führt bei vielen Menschen dazu, dass sie über einen Schönheitseingriff nachdenken.  Foto: AdobeStock/blackda Der Wunsch, den sichtbaren Spuren des Alters zu trotzen, führt bei vielen Menschen dazu, dass sie über einen Schönheitseingriff nachdenken. Foto: AdobeStock/blackda

Das ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung. Man möchte den Spuren
des Alters trotzen, sein Aussehen optimieren und verfolgt immer stärker bestimmte Schönheitsideale. Das wird in den Medien, vor allem auch in den sozialen Medien, entsprechend verbreitet und führt zu einer steigenden Nachfrage.

Die Fettabsaugung ist immer noch einer der häufigsten Eingriffe. Es gibt aber vor allem in den letzten zwei Jahren eine Verschiebung zum Fokus auf das Gesicht. Das ist unter anderem der Homeoffice-Situation mit virtuellen Meetings geschuldet. Wer häufig sein Gesicht auf dem Bildschirm sieht, dem wird vielleicht bewusst, dass man etwas verändern möchte. Auch nicht-invasive Methoden, also ohne Operation, sind heutzutage sehr gefragt. Auch beim Alter beobachten wir eine Verschiebung. Immer mehr Jüngere finden Zugang zu dem Thema.

Bei der überwiegenden Zahl
handelt es sich tatsächlich um Frauen. Aber die Zahl der Männer hat deutlich zugenommen. Auch Männer haben immer häufiger den Wunsch, etwas an sich zu optimieren.

Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Die Erwartungshaltungen der Patienten sind zum Teil unrealistisch. Das wird unter anderem durch Bilder getriggert, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Fotos lassen sich bereits mit einem einfachen Smartphone entsprechend bearbeiten. Dadurch entsteht schnell der Eindruck, dass optisch immer alles zu 100 Prozent optimal sein muss. Das ist allerdings keine realistische Haltung. Die individuellen Voraussetzungen wie die Anatomie werden dabei außer Acht gelassen. Das muss man den Patienten ganz klar sagen. Sie müssen objektiv und sachlich aufgeklärt werden. Die Erwartungshaltung einfach zu bedienen und zu

sagen, dass alles machbar ist, wäre falsch.

Ich sollte mich als Patient vorab über die Qualifikation des Arztes informieren. Ich habe als Plastischer Chirurg eine mehrjährige Facharzt-Ausbildung gemacht und dadurch einen ganz anderen Überblick als jemand, der bei einer Firma einen Wochenendkurs belegt hat und dann ein dubioses Zertifikat besitzt. Wichtig ist, dass es sich um eine anerkannte Qualifikation handelt, zum Beispiel durch die Ärztekammer. Der Gesetzgeber ist da leider sehr großzügig und regelt das nicht wirklich. Es gibt zum Beispiel keine Facharzt-Pflicht.

Man muss es vor allem sehr gut für sich selbst reflektieren. Bevor man eine solche Entscheidung trifft, sollte man gut überlegen und lieber noch ein paar Mal drüber schlafen. Es kann nicht sein, dass man eine Werbung oder ein Bild sieht und das sofort bei sich so haben will. Man darf sich auch nicht von anderen drängen lassen, sondern es wirklich für sich selbst wollen. Außerdem sollte man sich gut über den Eingriff informieren. Dazu gehören auch die Kosten und mögliche Risiken. Nach dem Gespräch mit einem Arzt sollte man sich fragen, ob man wirklich gut aufgeklärt wurde oder eher das Gefühl hat, hier sollte einfach eine Leistung verkauft werden.

Wenn Kinder und Jugendliche einen solchen Wunsch äußern, sollten Eltern das keinesfalls einfach abtun. Vielmehr können sie hinterfragen, wieso dieser Wunsch entstanden ist. Man sollte es nicht fördern und unterstützen, aber die Bedürfnisse des Kindes ernst nehmen. Wenn Kinder und Jugendlich das Gefühl haben, dass sie mit ihren Eltern über dieses Thema sprechen können, ist das oft schon sehr hilfreich. Generell ist es so, dass man Jugendliche unter 18 eigentlich gar nicht operieren darf. Es gibt ganz wenige Ausnahmen. Wenn man Kinder etwa wegen starker abstehender Ohren operiert, kann man das machen. Aber eine neue Nase zum 16. Geburtstag darf man ärztlich nicht unterstützen.

Es gibt sicher Fälle, wo solche finanziellen Überlegungen bei Ärzten eine Rolle spielen. Wir beobachten durchaus, dass junge Ärzte nach ihrer Approbation auf eine langwierige Facharztausbildung verzichten, um im Beauty-Bereich tätig zu werden. Die Situation ist aber noch längst nicht bedrohlich. Und letztlich liegt es auch an den Krankenhäusern, die Rahmenbedingungen für einen attraktiven Arbeitsplatz zu schaffen und den jungen Ärzten keinen Grund zu geben, abzuwandern.

Die Versorgungslage bei Verbrennungen ist gut. Wir haben Verbrennungszentren über ganz Deutschland verteilt, so dass auch komplizierte Fälle schnell und adäquat behandelt werden können. Es ist insgesamt erstaunlich, was bei schweren Verletzungen heute in der Plastischen Chirurgie gemacht werden kann. Aber auch hier gilt, dass man darauf achten muss, dass das Arbeitsumfeld für alle medizinischen Kräfte, damit meine ich auch explizit die Pflegekräfte, attraktiv ist, damit die Versorgung weiterhin so gut bleibt.

Das Interview führte
Daniel Holzer