Allgemeine Medizin

Corona geht und der Herzschmerz bleibt

Heute ist ein guter Tag. Der Kopf funktioniert, das Herz tut nicht weh. Tim kann für acht Stunden seine Arbeit am Schreibtisch bewältigen, danach ist Ruhen angesagt. Corona kam im Mai als leichte Erkältung und ging nach drei Wochen wieder weg. Hinterlassen hat das Virus ein unangenehmes Abschiedsgeschenk: Den stechenden Herzschmerz und eine scheinbar unendliche Müdigkeit. Tim hat das Post-Covid-Syndrom.

17.11.2022
 Foto: AdobeStock/methaphum und Naeblys Foto: AdobeStock/methaphum und Naeblys

Der 25-jährige junge Mann aus Marburg ist dreifach geimpft und steckte die Corona-Infektion scheinbar problemlos weg. Er fühlte sich nach drei Wochen genesen und ging wieder ins Fitnessstudio, so wie immer. Dort wollten sie im Rahmen des Trainings einen Kardiotest machen. Das war sieben Wochen nach der Infektion. Tim fuhr Rad bis zur Belastungsgrenze und spielte am folgenden Wochenende ein Volleyballturnier mit Freunden. „Schon da dachte ich, mein Herz klopft komisch“, sagt der Marketingfachmann. Im anschließenden Urlaub in den Bergen ging er wandern und trank auch mal ein Bier. Danach kam der Zusammenbruch. „Ich dachte, ich könnte nicht mehr gehen. Meine Beine wollten meinen Körper kaum tragen. Ich war völlig entkräftet und spürte einen stechenden Schmerz im Herz“, erzählt Tim. Dazu kamen der Nebel im Kopf und diese unfassbare Müdigkeit, die schon am Morgen, zwei Stunden nach dem Aufstehen, zum ersten Mal auftrat. An Arbeit war nicht zu denken. Der totale Leistungseinbruch hielt über Wochen an.

Tim ist kein Einzelfall. 15 Prozent der Covid-19 Patienten scheinen von Post-Covid betroffen zu sein, erklärt die Deutsche Herzstiftung. Hierbei halten die Symptome länger als drei Monate an. Nach der Gutenberg Covid-19 Studie – eine der größten bevölkerungsrepräsentativen Studien zur Pandemie in Deutschland – geben sogar bis zu 40 Prozent der mit SARS-CoV-2 infizierten Personen Covid-assoziierte Symptome an, die über mindestens sechs Monate dauern. Jeder Dritte erreicht nach der Infektion nicht mehr seine ursprüngliche Leistungsfähigkeit, ergab eine erste Zwischenauswertung.
Britische Forscher haben mittels einer Befragung von 3800 Betroffenen versucht, die Vielzahl der unspezifischen Dauerbeschwerden einzuordnen. 203 Symptome in zehn Organsystemen wurden dabei erfasst und in drei Gruppen eingeteilt.

Danach gibt es Symptome, die nach zwei bis drei Wochen ihren Höhepunkt erreichen und innerhalb von 90 Tagen abklingen. Dazu zählen hauptsächlich Symptome der Atemwege und des Magen-Darm-Bereichs. Die Symptome der zweiten Gruppe erreichen ihren Höhepunkt etwa nach sieben Wochen und nehmen viel langsamer ab. Dazu zählen neuropsychiatrische und kardiovaskuläre Symptome, aber auch Fatigue und Hauterscheinungen. In die dritte Gruppe ordneten die Forscher Symptome ein, die mild beginnen und nach etwa zehn bis 15 Wochen ihr Maximum erreichen, wie Allergien, Tinnitus, Neuralgien oder die als „Brain Fog“ bezeichneten Konzentrationsstörungen. Diese Symptome weisen kaum Besserung auf.
Obwohl Corona eine Multiorgankrankheit ist und Entzündungen in den Gefäßen aller Organe auslösen kann, ist das Herz nach den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre über den akuten Infekt hinaus gefährdet, einen Schaden davonzutragen, so die Deutsche Herzstiftung. Das kann auch passieren,wenn die Infektion einen milden Verlauf nahm. Typische anhaltende Herzbeschwerden sind Brustschmerzen, Herzstolpern, Kurzatmigkeit und eingeschränkte körperliche Belastbarkeit beziehungsweise Schwäche nach körperlicher Belastung.

Eine US-Studie unter 150.000 ehemaligen Militärangehörigen mit überstandener Covid-Erkrankung belegt das Auftreten von Vorhofflimmern und anderen Rhythmusstörungen, ischämischer Herzerkrankung und Herzschwäche. Nach einjähriger Begleitung stellte sich heraus, dass Covid-Patienten ein um 72 Prozent höheres Risiko für eine Herzinsuffizienz im Vergleich zu Kontrollpersonen ohne Infektion hatten.

Betroffene denken bei den Symptomen am Herzen schnell an eine Herzmuskelentzündung, die Myokarditits. Diese tritt laut Professor Dr. Thomas Voigtländer, Herzspezialist und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, jedoch nur bei elf von 100.000 ungeimpften Corona-Infizierten auf. Wie die Universität Leipzig erklärt, ist die Herzmuskelentzündung bei Covid-19 eine Kombination aus einer durch das Virus vermittelten Myokardschädigung und einer nachfolgend überschießenden kardiotoxischen Immunreaktion der T-Lymphozoten, die in der Forschung derzeit eine wichtige Rolle spielen, wie das BIH (Berlin Institute of Health der Charité) deutlich macht. Aufschluss über die eventuelle Schädigung am Herzen gibt eine kardiale MRT-Untersuchung.

Tim hat sie sich gegönnt und die 850 Euro dafür aus eigener Tasche gezahlt – weil er Klarheit haben wollte über den Zustand seines Herzens. Weil die Ungewissheit über eventuelle bleibende Schädigungen nicht zuletzt auch psychisch sehr belastend war. Das Ergebnis liegt vor. Das Herz ist in Ordnung. Und langsam geht es jetzt auch mit den Kräften wieder bergauf. (ti)