Gehirn, Psyche und Verhalten

Spiegelbild – mehr Schein als Sein?

Das eigene Urteil beim Blick in den Spiegel fällt selten gnädig aus. Doch entspricht das Selbstbild auch der Realität? So mancher leidet auch unter einer verzerrten Selbstwahrnehmung von Krankheitswert.

26.09.2017
Viele Menschen, vor allem Frauen, sehen sich im Spiegel anders, als sie wirklich sind.   Foto: Adobe Stock_tunedin

Betrachtet man sein eigenes Gesicht in einem Löffel, sehen die Proportionen aufgrund der gewölbten Oberfläche vollkommen verzerrt aus. Die meisten bringt das lediglich zum Schmunzeln. Ganz anders ergeht es Menschen, die in einen normalen Spiegel schauen und den eigenen Körper trotzdem als unförmig erachten. Der Grund: Bei ihnen ist diese Vorstellung fest in der Psyche verankert und verfolgt Betroffene jeden Tag. Dr. med. Mehmet Atila, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie und Direktor des Medical Inn Zentrums in Düsseldorf, weiß: „Menschen, die unter der verzerrten Wahrnehmung ihres Körpers, fachsprachlich Dysmorphophobie, leiden, zeigen dies oft in einem kontroversen Verhalten. Übermäßiges Stylen, Schminken oder auch eine Vorliebe für Schönheitsoperationen gehören dazu.“

Wahrnehmungsstörung erkennen

Da das Gefühl, hässlich zu sein, für Außenstehende nicht nachvollziehbar ist, werden Menschen mit einer Körperbildstörung oft fälschlicherweise als arrogant und oberflächlich verurteilt. Diese Annahme wird durch Verhaltensweisen, wie ein häufiges Überprüfen des Aussehens im Spiegel oder Vergleiche des eigenen Aussehens mit anderen, noch unterstrichen.
Hier kann eine Abwärtsspirale für Betroffene entstehen. Sie fühlen sich hässlich, zeigen das anhand von Zwangshandlungen, die Mitmenschen verständnislos mit Ablehnung und genervten Reaktionen beantworten. Dies wiederum führt zum weiteren Rückzug und zu noch mehr Unsicherheit, sogar schwere Depressionen sind möglich.
Als Ausweg sehen Betroffene mitunter Schönheitsoperationen. Doch nach einer erfolgten fällt die nächste Problemstelle am Körper auf, und so kann sich aus dem Gang zum Arzt ein weiterer Zwang entwickeln. „Fachärzte müssen die Indikatoren eines Patienten oder einer Patientin mit Dysmorphophobie erkennen, wenn er oder sie zur Beratung kommt“, mahnt Dr. Atila und ergänzt: „Ich muss den optischen Makel eines Patienten oder einer Patientin nachvollziehen können, um mich für einen Eingriff oder eine Behandlung auszusprechen. Ist dies nicht der Fall und bemerke ich zudem, dass eher eine psychische Ursache zugrunde liegen könnte, rate ich diesen Patienten auch von einer Operation ab.“

Nicht voreilig entscheiden

Oft geht hier ein intensiver Entscheidungsprozess voraus, und die Betroffenen beschäftigen sich sehr bewusst längere Zeit mit dem Thema. „Das ist auch genau richtig, zumal jeder Mensch anders ist. Haben Ärzte bei der ersten Beratung quasi schon das Skalpell in der Hand und wollen von Patienten eine schnelle Entscheidung, steht der Profit und nicht der Patient im Vordergrund“, warnt Dr. Atila.(red)