Gehirn, Psyche und Verhalten

Mein Mann, der Psychopath

Am Anfang hängt der Himmel voller Geigen. Doch dann kommt der Absturz. Beziehungen, in denen ein Partner seelisch an die Wand gespielt wird, sind die Hölle. Viele Betroffene erkennen das leider viel zu spät.

07.08.2017

Es gibt Geschichten, die gibt es, obwohl man sie kaum glauben kann. Und trotzdem sind sie wahr und passieren täglich tausendfach. So wie die von Nadine*. Vier Jahre lang lebte die 36-jährige Lehrerin an der Seite eines Mannes, der sie systematisch manipulierte, ausnutzte und demütigte. „Ich habe lange nicht verstanden, warum diese Beziehung nicht funktionierte und ich mich so emotional ausgelaugt fühlte. Ich habe die Schuld immer bei mir gesucht“, sagt sie. Doch dann sah sie durch Zufall eine Sendung im Fernsehen, recherchierte im Netz und las Bücher. Heute, mit dem Abstand einiger Jahre, weiß sie, dass nicht sie das Problem in der Beziehung war, sondern ihr Partner – ein Psychopath.

Schöner Schein

Dabei hatte alles so gut angefangen. André* war charmant, interessiert und aufmerksam. Er umgarnte sie, wollte sie haben. Nadine glaubte, den richtigen Mann fürs Leben gefunden zu haben. Doch schon kurze Zeit später zog er andere Seiten auf, zeigte sich unverbindlich, kalt und vorwurfsvoll: „Das habe ich nicht gesagt“, „Du hörst nicht richtig zu“, „Du bist krank“, „Geh mal zum Arzt“ – solche Sätze hörte sie bald täglich, wenn sie ihn an kurz zuvor getroffene Aussagen erinnerte, die er anschließend systematisch verdrehte. Oft schwieg er nach einem Streit tagelang. Kein Anruf, keine Antwort auf ihre SMS. Ihre Freunde mochten ihn nicht. Nadine traf sie deshalb seltener mit ihnen, isolierte sich immer mehr. „Dieser Verlauf ist typisch für Beziehungen mit Psychopathen“, bestätigt Bärbel Mechler, Heiltherapeutin, Kommunikationstrainerin und Buchautorin („Mein (Ex-)Partner ist ein Psychopath“, Mankau Verlag 2017). „Am Anfang ist alles zu schön, um wahr zu sein. Es gibt Komplimente, Geschenke, Aufmerksamkeiten – die Frauen fühlen sich wie auf Händen getragen. Doch dann wendet sich das Blatt.“

Strukturelle Störung

Doch was macht einen Menschen zum Psychopathen? Neurobiologen sprechen von einer antisozialen Störung, die zusätzlich durch zweck- und zielorientierte Aggression bzw. Zerstörungswillen und Emotionslosigkeit auffällt. Psychopathen hätten ein Struktur- und Funktionsdefizit, das sich sogar im Gehirn ablesen lässt. Forscher machten bei ihnen gar eine kleinere Gehirnmasse an bestimmten Stellen der Großhirnrinde aus.
Doch psychopathisches Verhalten hat viele Schattierungen.„Die meisten Menschen mit psychopathischer Struktur gibt es unter Männern mit Macht: Juristen, Chirurgen, Banker, Medienschaffende. Aber auch in Führungspositionen sind diese Charaktere überrepräsentiert“, weiß Bärbel Mechler. Seit über zehn Jahren arbeitet sie als Coach mit Opfern psychopathischen Missbrauchs. Allesamt Frauen. Darunter auch Nadine*. Die kann es immer noch nicht fassen, dass sie diesem Mann so verfallen war, ihn jahrelang finanzierte und sogar seine Wohnung putzte. „Am nächsten Tag empfing er dort eine andere Frau“, erzählt sie. „Ich fühlte mich so schlecht in dieser Beziehung, aber ich habe immer gedacht, dass ich ihm helfen muss oder ihn ändern kann“.

Fehlende Emotionen

Ein Trugschluss, dem die meisten Opfer erliegen, wie Frau Mechler weiß. „Menschen mit psychopathischer Struktur sehen überhaupt nicht, dass sie eigene Defizite haben. In ihren Augen sind sie selbst die Größten und Besten. Und wenn etwas nicht klappt, suchen sie die Schuld grundsätzlich bei dem anderen.“ Psychopathen sind extrem kontrollierend und richten und strafen ohne jegliche innere Regung. Doch warum? Experten sagen, dass diesen Menschen als Kind der Wunsch nach stabiler Nähe, Geborgenheit und kindgerechter Aufmerksamkeit versagt wurde. Sie erlebten ihre Welt als einen Ort voller Gefahr und Verrat, vor dem es sich zu schützen galt. Diese Wahrnehmung besiegelte das schrittweise Zementieren eines stark antisozialen Verhaltens, nicht selten bis hin zu perfider Grausamkeit. Das erklärt, warum sich diese Menschen keiner Beziehung anvertrauen, sich niemals fallen lassen und ein übertriebenes Kontrollverlangen zeigen.
Ihr Abwehrmechanismus entstand also aufgrund schwerer seelischer Defizite und Verletzungen in der Eltern-Kind-Beziehung als erste traumatische Erfahrung. „Wer Gefühle zu haben als existenziell bedrohlich erlebt hat, zieht eine Mauer um seine Seele hoch, die keine Gefühle mehr heranlässt“, so die Autorin. Ohne soziale Kompetenz und Empathie kämpfen sich Psychopathen dann im Leben nach vorne und gehen für ihre Ziele über so manche Leiche.

Vorteile im Fokus

„Sie wenden sich bewusst nur Menschen zu, die ihnen Vorteile verschaffen: Schönheit, Reichtum, Bildung, aber auch Emotionalität. Denn das befriedigt ihr Ego, füllt ihre Lücken und hilft ihnen bei der Außendarstellung als perfekter Mensch. Doch wenn sie ihres Spielzeugs überdrüssig sind oder der zu erwartende Vorteil aufgebraucht ist, fällt die freundliche Maske und der Partner wird allein auf seine Funktion der Bedürfnisbefriedigung reduziert. Stehen Streitigkeiten oder Trennungen an, werden Psychopathen meist von Hass zerfressen und von einem hemmungslosen Drang nach Vergeltung oder Vernichtung getrieben. Besonders schlimm wird es, wenn Kinder im Spiel sind.
Auch André stieß Beleidigungen und Drohungen gegen Nadine aus und weidete sich dann an ihrem Unglück. Doch trotz dieser Attacken war es für sie wie für viele andere Frauen schwer, einen Schlussstrich unter die Beziehung zu ziehen. Meist ist es dann der Psychopath selbst, der geht. „Auch das ist typisch in dieser Täter-Opfer-Konstellation“, so Mechler. „Um bis dahin mit der Situation leben zu können, müssen Frauen erst einmal erkennen, wo die Schwachstellen dieser scheinbar übergroßen Männer sind.“

Angriffe abschmettern

Eine Möglichkeit, das zu „überprüfen“, wie Bärbel Mechler sagt, sind spezielle Kommunikationsstrategien. Sie helfen außerdem dabei, die permanenten Beleidigungen ins Leere laufen zu lassen, sodass der Psychopath sein Ziel verfehlt, dem Partner Angst und Schmerzen zuzufügen. Ein paar Beispiele1:
Psychopath: „Du wirst auch von Tag zu Tag fetter und unansehnlicher.“
Reaktion: „Danke, dass Dir mein Aussehen wichtig ist. Ich weiß das zu schätzen.“
Auch nichtssagende Äußerungen eignen sich gut, um Hass und Häme zu parieren:
„Ich verstehe, was Du sagst“ oder „Ich werde über Deine Worte nachdenken“. Bärbel Mechler: „Es ist verlorene Mühe, sich auf den Inhalt infamer Angriffe einzulassen. Man sollte lernen, diese Dinge möglichst auszublenden und nicht darauf einzugehen.“ Das bedeutet, sich gleichsam mit aggressivem Verhalten, Rechtfertigungen und Gegenanschuldigungen zurückzuhalten – in einer aufgeladenen Stimmung sicher leichter gesagt als getan. Doch es ist der einzig gangbare Weg bis zur Trennung. Und die ist für die Opfer das Beste. Da ist sich Bärbel Mechler sicher: „Mit einem Psychopathen kann man nicht glücklich werden“.
Nadine hat das verstanden und konnte sich auch dank ihrer Hilfe aus der krankmachenden Beziehung lösen. Heute möchte sie anderen Betroffenen Mut machen: „Es war ein langer und schwerer Weg, doch ich habe ihn geschafft und bin endlich wieder glücklich!“ (bl)

*Name wurde geändert.
1 Aus dem Buch von Bärbel Mechler: „Mein (Ex-)Partner ist ein Psychopath“, Makau Verlag 2017, S. 139 und 141