Alters- und Palliativmedizin

Wachkoma sicher diagnostizieren

Der Zustand gehört zu den schlimmsten Ereignissen, die einen Menschen und dessen Familie treffen kann. Diagnose und Prognose entscheiden hier über Leben und Tod. Sie sollten daher korrekt sein.

17.12.2016

Michael Schumacher ist der prominenteste Fall. Er lag nach einem Ski-Unfall lange im Koma. Welche Prognose die 1500 bis 5000 Wachkoma-Patienten haben, die es derzeit in Deutschland gibt, ist noch unklar. Die Betroffenen können zwar die Augen öffnen, aber nicht willentlich und zielgerichtet. Sie sind nicht bei Bewusstsein. Aber stimmt das auch? Diese Frage quält viele Angehörige.
Experten der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) sind sich sicher, dass 40 Prozent aller Wachkoma-Patienten bei minimalem Bewusstsein sind. So sprächen etwa gezielte Augenbewegungen dafür, dass die Patienten noch einiges wahrnehmen würden und damit ein Syndrom des minimalen Bewusstseins (SMB) haben. In der derzeitigen klinischen Versorgungsrealität sei die Abgrenzung zwischen Wachkoma und SMB jedoch schwierig, sagt der DGKN-Experte Dr. med. Andreas Bender vom Therapiezentrum Burgau. „Studien belegen eine hohe Rate an Fehldiagnosen von bis zu 40 Prozent.“

Messbare Hirnreaktionen

Für die Therapie könne diese Fehldiagnose schwerwiegende Folgen haben. „Wir vermuten, dass viele SMB-Patienten, die für Wachkoma-Patienten gehalten werden, unter der fehlenden persönlichen Ansprache leiden“, so Bender. Eine aktuelle Metastudie zeigt, dass elektrophysiologische Verfahren solche Fehldiagnosen reduzieren können. Für die Analyse hatten die Neurophysiologen 20 klinische Studien mit 436 Wachkoma- und 470 SMB-Patienten ausgewertet, deren Hirnaktivität unter anderem mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) und quantitativer Elektroenzephalographie (qEEG) gemessen worden war. Beide Methoden zeigen, ob Patienten sich bestimmte Bewegungen, etwa Tennisspielen, vorstellen können, wenn man sie dazu auffordert. Sowohl in den fMRT- als auch in den qEEG-basierten Studien konnten 10 bis 24 Prozent der Wachkoma-Patienten solche Aufgaben befolgen. Sie wären also als SMB-Patienten einzustufen.

Diagnostik erweitern

„Mit dem derzeitigen Goldstandard für die Wachkoma-Diagnose, der sogenannten revidierten Coma Recovery Scale (CRS-R), lassen sich solche Bewegungsvorstellungen nicht nachweisen“, erklärt Professor Dr. med. Andreas Straube vom Klinikum der Universität München die Ursache der Fehldiagnosen. Denn die CRS-R erfordert, dass Patienten sich tatsächlich bewegen. „Es gibt aber auch Patienten, die zwar bei Bewusstsein sind, aber keinen Zugriff auf ihr motorisches System haben“, so Bender. „Am genauesten konnte der Bewusstseinszustand mit dem qEEG erkannt werden.“ (red)