Alters- und Palliativmedizin

Blutdruck im Alter nicht zu stark absenken

Gebrechliche Menschen profitieren nicht von einer starken Blutdrucksenkung. Sie bekommen dadurch Gedächtnisprobleme. Sogar das Sterberisiko steigt.

05.10.2018

Hohen Blutdruck mit Medikamenten zu senken, hilft vielen Menschen und rettet Leben. Das Risiko für die „Hypertonie“ ist besonders bei über 60-Jährigen groß.
Doch bei den noch Älteren sieht es anders aus. Hier reicht das Spektrum vom schwerbehinderten 75-Jährigen im Pflegeheim bis zur 95-Jährigen, die sich noch sportlich betätigt.
Die Behandlungsleitlinien für Bluthochdruck werden dieser Vielfalt jedoch nicht gerecht. Die Empfehlung, bei allen über 60-Jährigen die Blutdruckwerte auf unter 130mmHg zu senken, ist zu allgemein und könnte sogar fatale Folgen für die Patienten haben. Das zumindest haben Forschende der Universitäten Bern (Schweiz) und Leiden (Niederlande) in einer großen Studie aufgedeckt. Für ihre Arbeit wurden sie unlängst vom Kollegium für Hausarztmedizin mit dem Forschungspreis 2018 ausgezeichnet.

Zu wenige Untersuchungen

„Je niedriger, desto besser“ – so lautet eine Empfehlung, die viele Menschen selbst im hohen Alter von ihrem Arzt bekommen. Die habe jedoch einen Haken, meint PD Sven Streit vom Institut für Hausarztmedizin der Universität Bern (BIHAM). Denn in Studien zum Bluthochdruck würden sehr alte und gebrechliche Menschen mit mehreren Krankheiten und mehreren Medikamenten ausgeschlossen. Damit seien deren Resultate nur bedingt auf alte Menschen übertragbar.
Die nun untersuchte Patientengruppe schloss alle Frauen und Männer der Stadt Leiden in den Niederlanden ab 85 Jahren ein. Damit wurden auch solche Patienten erfasst, die an einer Demenz leiden, im Pflegeheim wohnen oder sonst irgendwie gebrechlich sind.

Senkung durch Medikamente

Sven Streit und seine Kolleginnen der Universität Leiden konnten bei den knapp 600 untersuchten Personen nachweisen, dass die Gesamtsterblichkeit und der geistige Abfall höher waren, je tiefer der Blutdruck durch entsprechende Medikamente gesenkt wurde. Dieser Zusammenhang bestand nur bei Menschen, die Blutdrucksenker einnahmen, und besonders bei denjenigen, die gebrechlich waren.
Die Forschenden bestätigten damit, was frühere Beobachtungsstudien bereits vermuten ließen. Allerdings ist dies die erste Studie, deren Resultate sich auf die gesamte Bevölkerung übertragen lassen.
„Bei Hausärztinnen und Hausärzten setzte sich bereits im Vorfeld immer mehr die Überzeugung durch, speziell bei gebrechlichen Patienten eine zusätzliche blutdrucksenkende Therapie nur nach individueller Abschätzung von Nutzen und Risiko zu empfehlen“, sagt Streit. „Nun konnten wir belegen, dass sie damit richtig lagen – entgegen den offiziellen Empfehlungen.“ (red)