Alters- und Palliativmedizin

Altershirndruck mit Shunt normalisieren

Nicht jede vermeintliche Alterserscheinung ist un- umgänglich. Sogar Demenz und andere Begleiterkrankungen kann man aufhalten und abschwächen, wenn man rechtzeitig handelt.

31.05.2019
Zu viel Druck im Gehirn kann Demenz fördern.  Foto: AdobeStock / Milan Ilic Zu viel Druck im Gehirn kann Demenz fördern. Foto: AdobeStock / Milan Ilic

Der 67-jährige Herr K. kommt in eine neurochirurgische Ambulanz des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus in Dresden. Seine Symptome: Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, Harninkontinenz und eine sichtbare Gangstörung. Diese Kombination, genannt „Hakim-Trias“, sei oft das erste Anzeichen einer beginnenden Demenz, weiß der geschäftsführende Oberarzt der Klinik Prof. Dietmar Krex: „Demenz, Inkontinenz und ein breitbeiniger, schlurfender Gang während des ‚Altwerdens‘ sind nicht der Ausdruck des Alterungsprozesses, sondern stellen einen behandelbaren Symptomenkomplex dar. Je früher wir mit einer Therapie beginnen, desto besser sind auch die Erfolgsaussichten.“ Typisch sind kleine Tippelschritte, während die Füße förmlich am Boden kleben. Auch medizinische Laien können diese Symptomatik gut erkennen und Betroffene oder Angehörige darauf aufmerksam machen.

Gestörte Ablaufkanäle

Das Krankheitsbild, das sich dahinter verbirgt, heißt „Normalpressure Hydrocephalus“ (NPH) oder „Normaldruckhydrocephalus“.
In Deutschland sind Schätzungen zufolge etwa 80.000 über 60-Jährige von NPH betroffen. Experten gehen davon aus, dass etwa jeder zehnte Demenzkranke eigentlich unter Normaldruckhydrocephalus leidet.
Da die meisten Betroffenen älter als 60 Jahre sind, sprechen die Ärzte auch von „Altershirndruck“. Der NPH kann auch mit anderen degenerativen Erkrankungen, wie zum Beispiel Morbus Alzheimer oder Morbus Parkinson, einhergehen.
Die Ursachen sind bis heute noch nicht genug erforscht. Fest steht nur, dass die natürlichen Ablaufkanäle für überschüssiges Gehirnwasser (Liquor) bei den Patienten beschädigt sind. Der Hintergrund: Im Gehirn wird täglich Hirnwasser gebildet, das aufgrund des begrenzten Kopfvolumens jedoch kontinuierlich ablaufen muss. Die dafür notwendigen „Wege“ sind bei Patienten mit NPH gestört.
Die Liquorablasspunktion, also das Ablassen überschüssigen Hirnwassers durch eine Punktion des Rückenmarkschlauches in Höhe der Lendenwirbelsäule, ist schmerzhaft und dazu keine Dauerlösung.

Umleitung in den Bauchraum

MRT-Aufnahmen vom Gehirn des Betroffenen zeigten, dass alle inneren Hirnwasserkammern erweitert waren. „Ein eindeutiges Bild. Die Zusammenschau der Krankengeschichte, der Symptome und der sichtbar gemachten Strukturen und Formen des Gehirns, bestätigten uns die Diagnose eines Normaldruckhydrocephalus, sodass wir dem Patienten eine Operation anboten“, erzählt Prof. Krex. Dabei wird im Gehirn ein Shunt gelegt, der eine „Umleitung“ von den inneren Hirnkammern zum Bauchraum ermöglicht. Dort kann dann das überschüssige Hirnwasser problemlos vom Körper abgebaut werden. Erfolgt die OP rechtzeitig, sollen mehr als 90 Prozent der Patienten von diesem Verfahren profitieren.
Auch der Zustand seines Patienten besserte sich bereits unmittelbar nach der Operation deutlich: „Sein Gangbild war sichtbar flüssiger, sicherer – er konnte mit weiter ausgreifenden Schritten gehen, wies eine höhere Stabilität der Körperhaltung auf und seine Neigung zu fallen, war deutlich zurückgegangen“, so Prof. Krex. Herr K. und seine Frau berichteten, dass sich die Harninkontinenz sowie seine geistige Leistungsfähigkeit ebenfalls deutlich verbesserten.

Beschwerden bessern

Eine Heilung des Normaldruckhydrocephalus sei zwar derzeit nicht möglich, so der Experte. Jedoch führe das rechtzeitige Erkennen und Behandeln der Krankheit zum Ausbleiben beziehungsweise zum deutlichen Rückgang der Beschwerden. Dadurch lässt sich die Lebensqualität sichtbar verbessern. „Und das ist die gute Nachricht, mit der die Betroffenen im Alter häufig gar nicht rechnen“, sagt Prof. Krex.
Die hausärztliche Rolle bei der Erkennung der NPH und die richtige Zuweisung der Patienten in entsprechende neurochirurgische Zentren sind unverzichtbar.
Der Experte rät seinen Kollegen, bei einem Beschwerdebild von Demenz, Harninkontinenz und Gangstörung neben degenerativen Erkrankungen auch den Normaldruckhydrocephalus zu denken.
Herr K. hatte Glück. Anders als bei vielen anderen wurde bei ihm die Diagnose bereits recht früh gestellt. (red)