Allgemeine Medizin

Reizdarm: Welche Rolle spielt der Stress?

Verdauungsprobleme sind für Betroffene sehr belastend. Doch was tun, wenn der Arzt keine körperliche Ursache dafür findet?

06.08.2018
Der Mix aus unterschiedlichen Symptomen erhöht den Leidensdruck.  Foto: AdobeStock / Wanja Jacob Der Mix aus unterschiedlichen Symptomen erhöht den Leidensdruck. Foto: AdobeStock / Wanja Jacob

Blähungen und Bauchweh, Durchfall und Verstopfungen, Unwohlsein und Völlegefühl im Wechsel – laut Angaben der Reizdarmselbsthilfe e. V. leiden etwa 30 Prozent der Menschen hierzulande chronisch unter einem Mix dieser verschiedenen Symptome. Das Problem: Mit Medikamenten kann man diesen nicht beikommen, denn organisch – so scheint es nach dem meist erfolglosen Untersuchungsmarathon – ist alles in Ordnung. Der Leidensdruck der Betroffenen ist dennoch da und nicht selten hoch. Mediziner sprechen in diesem Fall von einem „Reizdarmsyndrom“ (RDS).

Symptome mit Krankheitswert

Der Grund: Magen und Darm reagieren äußerst empfindlich auf jedwede Veränderung des gewohnten Lebensrhythmus, Stress und psychische Belastungen. Deshalb zählt das RDS auch zu den psychosomatischen Erkrankungen, bei denen psychosoziale Faktoren Mitverursacher der Erkrankung sind. Das wiederum kann nur in einem ausführlichen persönlichen Anamnesegespräch erörtert werden, wie Dr. Katrin Imbierowicz, Leitende Oberärztin der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn erklärt. „Hat jemand einen Wechsel von Durchfällen, Verstopfungen und Bauchbeschwerden und kommt damit aber in seinem Alltag zurecht, also muss er sich ernährungsmäßig nicht einschränken und hat keinen Leidensdruck, dann wäre das keine behandlungswürdige Krankheit, egal, was die Ursache ist“, so die Expertin. „Wenn sich jemand aber in seiner Alltagsaktivität stark eingeschränkt fühlt und zum Beispiel nicht mehr rausgeht, weil er meint, er kommt nicht mehr rechtzeitig auf die Toilette, oder wenn er nicht mehr mit normalen Lebensmitteln klarkommt und sich darüber die Stimmung verschlechtert, dann würden wir sagen, hier handelt es sich um Symptome mit Krankheitswert.“ Dabei werden auch die somatischen, also körperlichen Befunde berücksichtigt, die der Patient zu diesem Gespräch mitbringt.

Persönliche Achillesferse finden

Ob ein RDS diesen Krankheitswert hat, entscheidet die persönliche Belastbarkeit des Betroffenen. Auch diese sei von Patient zu Patient unterschiedlich, so Dr. Imbierowicz. „Wir verwenden hier das Stress-Diathese-Modell. Es untersucht die Wechselwirkung aus individueller Empfindlichkeit und Belastung, die für die Entstehung einer Erkrankung wichtig ist. Hat jemand von Hause aus eine schwache Basis, weil er möglicherweise Gewalt oder Mobbing erfahren hat oder seine Eltern verloren hat, braucht es nur einen geringeren Auslöser, damit das System kippt“, so die leitende Ärztin. „Menschen mit einer soliden Basis in der Kindheit haben eine entsprechend geringere Verletzbarkeit. Hier braucht es schwere Auslöser, um psychosomatisch zu erkranken. Was die Persönlichkeit ist und was der Auslöser, ist individuell total unterschiedlich.“ Bei chronischer Belastung kann es dann zu den entsprechenden Symptomen kommen. Dr. Imbierowicz: „Je nachdem, was man für eine Achillesferse hat, kommt es dann zu Schmerzen in Magen und Darm, Kopf oder Rücken.“

Welche Therapien gibt es?

Wenn Haus- oder Facharzt keine funktionelle Ursache für die Beschwerden finden, können sie den Patienten in eine psychosomatische Ambulanz überweisen. Dort wird in ausführlichen Gesprächen geklärt, ob eine Psychotherapie die Beschwerden lindern kann.
Der Vorteil einer Klinik mit voll- oder teilstationären Behandlungsmöglichkeiten: Hier kann man mehrere Methoden der Psychotherapie miteinander kombinieren. Neben der klassischen Einzel- oder Gruppentherapie, der Verhaltens- und Tiefenpsychologie gibt es dort Angebote für körpertherapeutische Verfahren oder entspannungs-, gestaltungs- und kunsttherapeutische Methoden sowie Spannungs- und Regulationstherapien. Zwischen sechs und zwölf Wochen dauert die Behandlung. Dr. Imbierowicz: „Bei psychosomatischen Patienten kommen wir auf Heilungsraten von 60 bis 80 Prozent, 100 Prozent erreicht man aber auch mit einer Psychotherapie nicht.“ (bibi)