Allgemeine Medizin

Rauchertod: Ostdeutsche Frauen holen auf

Tabak kann töten. Das steht mittlerweile auf jeder Zigarettenschachtel. Auch deshalb sinkt die Zahl der Raucher. Nur in Ostdeutschland schwimmen die jungen Frauen gegen den Trend. Mit fatalen Folgen ...

11.05.2017

Der Tabakkonsum junger Frauen in den neuen Bundesländern steigt seit der Wiedervereinigung deutlich an. Deshalb könnten ihre Sterberaten die der Frauen im Westen bald überholen. Das zeigen Berechnungen des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock bis zum Jahr 2036. Der tödliche Trend blieb bisher verborgen unter der generell guten Entwicklung der Lebenserwartung im Osten.
Wie die Rostocker Forscher ermittelt haben, klettert die Sterblichkeit (also die Wahrscheinlichkeiten, in einem bestimmten Alter zu sterben) allein durch Lungenkrebs für ostdeutsche Frauen im Alter ab 50 Jahren in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich in die Höhe. Lungenkrebs gilt als ein starkes Indiz für Folgen des Rauchens. „Auch alle anderen Raucherkrankheiten werden häufiger auftreten, etwa Arterienverkalkung, Herzinfarkte oder weitere Krebsarten“, sagt Mikko Myrskylä, Direktor am Max-Planck-Institut für demografische Forschung, der die Forschungsergebnisse jetzt im führenden demografischen Fachjournal „Demography“ veröffentlichte.

Tabakkonsum im Osten steigt

Gleichzeitig prognostizieren die Forscher, dass sowohl die Sterblichkeit allein durch Lungenkrebs als auch die durch Rauchen allgemein ausgelöste Sterblichkeit für westdeutsche Frauen im Alter 50+ dauerhaft sinken wird. Denn ganz anders als im Osten sinkt der Tabakkonsum im Westen kontinuierlich.
Die allgemeine Sterblichkeit der Frauen von 50 bis 69 liegt momentan im Osten unter der im Westen. Die Demografen prognostizieren jedoch, dass die allgemeinen Sterberaten im Osten die im Westen in 20 Jahren (2036) wegen des sich ändernden Tabakkonsums um fast zehn Prozent übersteigen werden. Allein dieser Überschuss von fast zehn Prozent in der allgemeinen Sterblichkeit bedeutet 800 Todesfälle durch Rauchen unter den 50 bis 69-jährigen Frauen im Osten.

Vermeidbare Todesfälle

„Die Politik ermöglicht diesen Zuwachs an Todesfällen in Ostdeutschland“, kritisiert Mikko Myrskylä. Eine aggressivere Anti-Raucher-Politik könnte den starken Anstieg des Tabakkonsums unter ostdeutschen Frauen eindämmen, glaubt der Demograf. So ließen sich Todesfälle verhindern. „Deutschland ist bei politischen Maßnahmen gegen das Rauchen laxer als andere EU-Länder“, bemängelt Myrskylä. „Als einziges Land erlaubt es zum Beispiel uneingeschränkt Tabakaußenwerbung, etwa an Plakatwänden.“
Rauchen sei in Deutschland generell sehr viel breiter akzeptiert als in anderen EU-Staaten. „Die neuen Bundesländer werden gerade zum abschreckenden Beispiel dafür, was passiert, wenn die Politik die Tabakprävention vernachlässigt, und ignoriert, wie sich die Verhaltensnormen verändern“, so der Max-Planck-Forscher weiter. Myrskylä befürchtet, dass die Zunahme des Tabakkonsums im Osten unbemerkt bleiben und keinerlei Gegenmaßnahmen zur Folge haben könnte, da die tödlichen Konsequenzen an den Sterblichkeitsdaten bisher kaum ablesbar sind. Die positive Entwicklung der weiblichen Lebenserwartung im Osten gilt bisher vielmehr als Erfolgsgeschichte. In der DDR war die Lebenserwartung deutlich niedriger als in der Bundesrepublik. Die Sterblichkeit war entsprechend im Osten höher als im Westen.

Trend dreht sich

Nach der Wiedervereinigung schloss sich die Ost-West-Schere jedoch rasant. Besonders schnell holten die ostdeutschen Frauen auf. In der Altersgruppe von 50 bis 69 haben sie inzwischen sogar eine niedrigere Sterblichkeit als gleichaltrige Frauen in den alten Bundesländern.
Doch das Ost-West-Verhältnis wird sich laut Berechnungen des Max-Planck-Instituts wieder umkehren, da sich das Rauchverhalten in verschiedene Richtungen entwickelt. Der Tabakkonsum der Frauen, die in den Nachwendejahren (1990-94) Teenager waren, stieg nach den Berechnungen im Osten auf 9,6 Jahre und überholte den im Westen, der auf 9,3 Jahre gefallen ist. Das wird sich bei den Todesfällen bemerkbar machen: Wenn diese Frauen in zehn Jahren zwischen 50 und 54 sind, werden die Sterberaten für Lungenkrebs im Osten die im Westen überholt haben (29 bzw. 28 Tote pro 100.000 Frauen).

Längere "Raucherkarriere"

Völlig umgekehrt wird sich die Situation in zwanzig Jahren haben, wenn unter den dann 50 bis 54-Jährigen im Westen nur noch 21 von 100.000 Frauen an Folgen des Rauchens sterben werden, während die Rate im Osten um mehr als die Hälfte darüber liegen wird (31 Todesfälle pro 100.000 Frauen). Diese Frauen waren zu Beginn des neuen Jahrtausends (2000-2004) Jugendliche. Wenn der Tabakkonsum, wie prognostiziert, weiter steigt, werden sie im Westen bis zum 40. Lebensjahr nur noch sieben Jahre ihrer Lebenszeit Raucherinnen gewesen sein, im Osten aber inzwischen 10,6 Jahre – so viel wie der ehemalige Maximalwert im Westen.
„Es dauert 15 bis 25 Jahre, bis eine Steigerung beim Rauchen in den Sterblichkeitsdaten sichtbar wird“, sagt Myrskylä. „Wir müssen heute etwas unternehmen, um unnötige Todesfälle in der Zukunft zu verhindern. “ (red)