Allgemeine Medizin

Die Mutter aller Krebszellen ausschalten

Jeder Tumor hat seinen Ursprung in kranken Stammzellen. Diese können immer wieder neue Krebszellen produzieren und durch Tiefschlaf den Therapieangriff überleben. Doch es gibt Hoffnung.

20.03.2019

Stammzellen bilden, wie der Name schon verrät, die Grundlage für die ständige Regeneration aller Gewebe unseres Körpers. Doch sie spielen leider auch bei der Entstehung und Ausbreitung von Krebs eine Rolle. Die meisten Karzinome gehen nämlich auf krankhaft veränderte Stammzellen zurück, die außerdem dafür verantwortlich sind, dass der Krebs sich im Körper ausbreitet und nicht mehr auf die gängigen Therapien anspricht.
„Wölfe im Schafspelz“ – so nennt Prof. Andreas Trumpp vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg die Krebsstammzellen. Sie haben Eigenschaften wie normale Stammzellen, jedoch sind die zellulären und molekularen Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt, wodurch sie für den Organismus höchst gefährlich werden“, so der Wissenschaftler.
Erst kürzlich wurde Trumpp, der Leiter der Abteilung „Stammzellen und Krebs“ am DKFZ ist, für herausragende wissenschaftliche Beiträge auf dem Gebiet der Krebsstammzellen mit dem Landesforschungspreis ausgezeichnet.

Schläferzellen wecken

Er entdeckte zusammen mit seiner Kollegin Marieke Essers, dass sich Blut-Stammzellen im Knochenmark durch eine Art Schlafzustand vor schädigenden Umwelteinflüssen schützen. Nur in Notfällen, etwa nach Infektionen oder Blutverlusten, erwachen sie, nehmen die Zellteilung auf und liefern dadurch den dringend benötigten Nachschub an roten und weißen Blutkörperchen. Der Schlafzustand erklärt gleichzeitig, warum Blut-, aber eben auch Leukämie-Stammzellen auf viele Krebsmedikamente und Chemotherapeutika nicht ansprechen: Denn die Wirkstoffe greifen nur teilungsaktive Zellen an. „Könnten wir diese Schläfer wecken, wäre es eventuell möglich, auch mit herkömmlichen Therapieformen Krebsstammzellen zu eliminieren und damit die Erkrankung effektiver zu behandeln.“ Die Nachschubbasis wäre zerstört. Darauf aufbauend konnte Trumpp zeigen, dass eine Vorbehandlung mit dem Immun-Botenstoff Interferon schlafende resistente Stammzellen aktiviert und sie für Chemotherapien sensibilisieren kann. Eine Vorbehandlung mit diesem Botenstoff, gefolgt von einer Chemotherapie, könnte daher eine Möglichkeit sein, resistente Krebsstammzellen abzutöten.

Resistenzen verhindern

Darüber hinaus ist es Andreas Trumpp in den vergangenen Jahren gelungen, eine Vielzahl weiterer Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die klinische zu übertragen.
So hat er zusammen mit Kollegen erstmals Stammzellen identifiziert, die zu Metastasen in Knochen und Leber führen können.
Das Forscherteam fokussiert sich nun auf die Verbesserung von Methoden, um solche aus dem Blut von Patientinnen isolierten Brustkrebsstammzellen in der Kulturschale zu vermehren. Mit ausreichend Tumorzellmaterial könnte jede Patientin erstmalig ohne Belastung im Verlauf der Erkrankung daraufhin untersucht werden, wie es zur Entstehung von Resistenzen gegen Krebsmedikamente kommt und welche Wirkstoffe eine Alternative darstellen könnten.

Enzyme blockieren

In einer Studie zum Bauchspeicheldrüsenkrebs konnten Trumpp und seine Kollegen einen neuen Mechanismus der Medikamentenresistenz nachweisen. Bei dieser Krebsart produzieren Krebszellen große Mengen des Enzyms CYP3A5, das normalerweise nur in der Leber aktiv
ist, um Gifte abzubauen. In den Tumorzellen macht es verschiedene Krebsmedikamente unwirksam.
Schalteten die Forscher das Enzym aus, so sprachen die Krebszellen wieder auf die Therapie an. Basierend auf diesen Erkenntnissen bereiten die Wissenschaftler zusammen mit klinischen Partnern derzeit eine klinische Studie vor. Sie wollen prüfen, ob ein bereits zugelassenes Medikament die Entstehung von Resistenzen verhindern kann.

Einfluss auf das Erbgut

Ein weiteres Enzym als Ansatzpunkt für neue Therapien entdeckten die Wissenschaftler bei der Akuten Myeloischen Leukämie (AML). Die Stammzellforscher fanden heraus, dass das Enzym BCAT1 unerwartet Einfluss auf die Aktivität des Erbguts hat und als Krebstreiber in AML-Stammzellen sowie auch in Stammzellen anderer Krebsarten wirkt. Auch hier könnte eine Blockade von BCAT1, das bisher nur als Stoffwechselenzym bekannt war, mit einem zielgerichteten Wirkstoff die Krebsausbreitung und die Therapieresistenz eindämmen. (red)